Foto: Szene aus "Amor & Psyche?" © Maximillian Borchhardt
Text:Hartmut Regitz, am 8. Mai 2022
Nachts im Museum: Der Wissensdrang des jungen Mädchen scheint übermächtig, aber was sie letztlich aus dem Dunkel der Riesenbühne herausleuchtet, ist nicht einfach eine Skulptur, die gut und gerne „Amor und Psyche“ heißen könnte. Was Paloma Galiena Moscardó im Schein ihrer Taschenlampe entdeckt, könnte eher eine geheimnisvolle Grotte sein, von dichtem Buschwerk umgeben, möglicherweise gar ein Garten der Lüste, den sie beklommenen Herzens betritt. So wie er sich auf der Opernbühne des Mannheimer Nationaltheaters darstellt, ist es jedenfalls ein verführerischer Ort, dessen sinnlichem Zauber sich niemand entziehen kann. Auch nicht das Publikum.
„Amor & Psyche?“ nennt Jeroen Verbruggen sein gut 70 Minuten dauerndes Tanzstück – und das aus gutem Grund: Schließlich erzählt der Choreograf nicht das allegorische Märchen, wie man es aus dem „Goldenen Esel“ von Lucius Apuleius her kennt. Es sind eher Bruchstücke aus seinem Roman, die zitiert werden. Zwischenstationen einer Prüfungsgeschichte, die der belgische Choreograf auf ganz eigene Weise sichtbar zu machen sucht. Die Szenerie hat zunächst jedenfalls etwas Unheimliches. Und die Erregtheit, die sich Psyche in Gestalt einer vielfach verschlungenen, durchweg erotischen Gruppenbewegung bemächtigt, lässt sie im Innersten erschauern. Paloma Galiena Moscardó rettet sich auf eine kleine Insel inmitten eines silbern schimmernden Sees und klammert sich ängstlich an ihre Aktentasche, als könnte das Schulwissen ihr Schutz gewähren.
Seelentiefen erkunden
Ein Trugschluss, wie sich am Ende zeigt. Verbruggen war viele Jahre über einer der prominentesten Protagonisten der Ballets de Monte-Carlo. So wie dort Jean-Christophe Maillot seine Märchenstoffe gerne tiefenpsychologisch ausgelotet hat, lässt es auch Verbruggen als gelehriger Schüler nicht bei einer bloßen „Handlung“ bewenden. Den See darf man beispielsweise durchaus als Spiegelbild ihres Selbst deuten. Und auch der Liebesregen, der sich einmal über Paloma Galiana Moscardó ergießt, lässt sich durchaus als Verweis auf den Danaë-Mythos verstehen. Hier wirkt er allerdings wie ein sexistischer Akt – nicht zuletzt auch deshalb, weil die Tänzer zwischendurch mit Wasserpistolen auf das jungfräuliche Geschöpf zielen.
Richtig konkret wird Verbruggen allerdings nie, selbst wenn man im Programmheft Rollen- und Szenenbezeichnungen wie „In Nature of Feminity“, „Trust“ oder „Canon of Regrets“ findet. Seine Assoziationen teilen sich eher hintergründig mit, unterstützt durch ein atmosphärisches Lichtdesign, für das er selbst gemeinsam mit Damiam Chmielarz verantwortlich zeichnet. Und nicht zuletzt durch eine wohl überlegte Dramaturgie, die das Wechselspiel der Gefühle hörbar macht in einer kontrastreichen Abfolge von Musik eines Ralph Vaughan William, Thomas Adès, Gabriel Fauré, Lokas Foss, Jimmy López oder Johann Paul von Westhoff. Auch ein griechischer Schlager ist einmal zu hören. Ebenso die Stimmen der Tänzer und Tänzerinnen.
Ganz zum Schluss erklingt, eindringlich interpretiert vom Mannheimer Orchester unter Leitung der jungen, koreanischen Dirigentin Yura Yang, mit „The Unanswered Question“ von Charles Ives eine Musik, die wieder alles in Frage stellt. Für einen Augenblick kommt die Choreografie immerhin zur Ruhe, die zuvor als ein fortwährender Bewegungsfluss so unendlich viele Gefühlswallungen erzeugte. Endlich scheinen die Körper von Paloma Galiana Moscardó und Albert Galindo in eins zu fließen. Doch der Rest ist nicht Schweigen, sondern ein Atmen. Und wieder ein Mädchen, das mit der Taschenlampe das Geheimnis der Liebe erforscht.