Foto: "Sag mir, dass du mich liebst" am Theater Osnabrück. Vasna Felicia Aguilar und Amadeus Marek Pawlica © Jo?rg Landsberg
Text:Bettina Weber, am 16. November 2014
Manche Generationen haben es noch erlebt, einen Weltkrieg, dann noch einen Weltkrieg. Dazwischen funkelnde Hoffnungszeiten. Auch der Schriftsteller Erich Maria Remarque gehörte zu dieser Generation. Sein Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ wird in diesen Monaten, 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs, wieder an zahlreichen Theatern der Republik gespielt. Das Theater Osnabrück widmet dem berühmten Kind der Stadt gleich ein großes spartenübergreifendes Stadtprojekt, bringt aber nicht den klassischen Erfolgsroman auf der Bühne, sondern unter anderem eine Dramatisierung des Romans „Der schwarzen Obelisk“ (ab Januar) sowie ein Tanzstück des Osnabrücker Chefchoreographen Mauro de Candia. Die Choreographie nimmt Remarques Leben und seine Beziehung zu Marlene Dietrich in den Blick.
Gleich der Einstieg ist eine freundliche Einladung in die Lebenswelt Remarques: Die Tänzer ziehen einzelne Zuschauer (und Kritiker) auf die Bühne, tanzen mit ihnen ein paar Minuten, bevor sie sie auf ihre Plätze entlassen. Darauf folgt eine Reihe von Szenen, die sowohl den Glamour und das dandyhafte Leben Remarques als auch seine Kriegserlebnisse zu vermitteln suchen. Ausgangspunkt für Mauro de Candia waren die Briefwechsel zwischen Remarque und Marlene Dietrich, die eine intensive Beziehung, aber auch der gemeinsame Pazifismus und die Nazigegnerschaft verband. Die Schreiben der beiden werden zum Einstieg und dann immer wieder momentweise eingespielt. Dabei hat Mauro de Candia beiden Protagonisten gleich mehrfach besetzt, um ihren verschiedenen Facetten gerecht zu werden. Eindrücklich ist dabei nicht nur die Intensivierung durch die Vervielfältigung. Gleichzeitig dringt er durch die Oberfläche von Remarques Außenwirkung, wenn er beispielsweise den Tänzer Amadeus Marek Pawlica volllkommen still vor einem Spiegel stehen lässt, während die übrigen Tänzer in wilden Charleston-Einlagen Ausgelassenheit und Unbeschwertheit suggerieren.
De Candia inszeniert auch die Überhöhung der Gefühle, Remarques Vergötterung der Marlene, und er zeigt die verschiedenen Rollen des Schriftstellers, der ihr als Alfred schrieb oder Ravic (eine der Hauptfiguren seines Romans „Arc de Triomphe“), als konkrete Figuren auf der Bühne. Um Marlene Dietrichs Unangepasstheit auf die Bühne zu übertragen, lässt er sie nicht nur erwartungsgemäß in Männerkleidung tanzen, er präsentiert auch das klassische Rollenbild der Zeit, um die Gegensätze zu verdeutlichen.
„Sag mir, dass du mich liebst“ lautet der Titel des Abends – dahinter kann man erst einmal Kitsch vermuten. Doch gerade in diese Falle sind Mauro de Candia und seine Dramaturgin Patricia Stöckemann nicht getappt. Sie zeigen Zartheit und flehende Sehnsucht ohne Rührseligkeit. Die emotionale Atmosphäre entsteht physisch vor allem über assoziative und spielerische Bewegungen, immer wieder aber auch durch die Musik, Stücke von Lili Marleen oder aber Franz Schubert. Eindrücklich stehen dagegen die Szenen der Kriegserinnerung, intensiviert durch eingespielte Geräuschkulissen, die an Bombeneinschläge erinnern. Häufig tanzt das Ensemble wie im Zeitraffer verlangsamt, verkörpert dabei sowohl den harmonischen Beginn als auch das Scheitern der Liebe, dann wieder den militärischen Grusel des Krieges. Ganz besonders anziehend ist an diesem Abend die überraschend große darstellerische Kraft der Tänzer, allen voran die der Tänzerin Vasna Felicia Aguilar, die, als „Haupt-Marlene“, sehr sensibel die Dominanz und Leidenschaft der Figur zeigt. Diese Choreographie vermittelt viel Atmosphäre im Raum zwischen konkreter Darstellung und abstrakter Reflektion und ist eine sinnliche Erinnerung an den großen Schriftsteller.