Foto: "Und dann kam Mirna" am Staatstheater Nürnberg © Marion Bührle
Text:Dieter Stoll, am 14. Oktober 2016
Die Bühne ist leer wie für einen bevorstehenden Schöpfungsakt, aber dann kreisen die Scheinwerfer, der Publikumsjubel wird vom Band zugespielt und vier Frauen – da ist schon auf den ersten Blick der größtmögliche Kontrast zum luftgeblähten Schlabberlook der Berliner Uraufführungs-Produktion fixiert – taumeln in glitzernden Paillettenfummeln hochhackig an die Rampe. Es ist Showtime bei der Frauen-Power, allerdings wird nicht gesungen oder gesprungen, eher nachgetreten. Kann aber auch ganz befreiend sein, wie die eigenwillige Nürnberger Inszenierung von Sibylle Bergs unwiderstehlich giftiger Kolumnen-Dramatik von „Und dann kam Mirna“ zeigt. Unter souveräner Ignorierung des Basis-Experiments „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“, wo am Gorki-Theater die Welt der jungen Frauen mit den gehobenen Ansprüchen der Rudel-Emanzipation in Energiestößen von Querschlag-Sarkasmus durchs Scheitern gelotst wurde als wäre es nur ein verpasster Sieg, stürzt sich die junge Regisseurin Anne Bader in Nürnberg direkt auf die Fortsetzung.
Da sind wir nämlich schon weiter. Hier ist die frustrationsanfällige Enddreißigerin im Quartett, wie sie nach dem Kinderkriegen (Alleinerziehend – „Erziehend? Naja, geht so!“) und der Trennung vom Erzeuger-Partner in Spätlese der Freiheit genießt, das zu tun, was sie eigentlich gar nicht will. Oder vielleicht ein bisschen oder das Gegenteil. Beim Wirbel ums aktuell passende Mutter-Bild rufen illusionsfreie Kinder die Gegenreformation aus und wünschen „Spießereltern, die Grün wählen und Alte-Menschen-Sachen machen – meinetwegen auf Facebook“. Mama, der anarchistische Stadtmensch, wollte grade noch aufs Land ziehen, bleibt dank Mirnas Manipulation nun doch in gewohnter Kulisse und könnte alsbald vom nächsten Trend umgedreht werden. Mutterns Wende hat Propellerqualität.
Was Sibylle Berg mit ihren höllisch explosiven Texten wie ein ausuferndes Tisch-Feuerwerk beim Aufräumen nach der Party zündet, wo also Goldregen mit Knallerbsen und Stinkbömbchen zur authentischen Katerstimmung detonieren, lenkt die Nürnberger Inszenierung auf Rollenspiele um. Die Lady-Kracher (durchtrainierte Comedy von Karen Dahmen, Lilly Gropper, Nicola Lembach und Ruth Macke) lassen sich nicht ins Chaos mitreißen, sie demonstrieren die artifizielle Komik der Hilflosigkeit in Profi-Distanz. Augenzwinkern inbegriffen. Die eindeutige Front zwischen den wankenden Frauen und ihren „klare Ansage“ fordernden Mädels aus der Neigungsgruppe „Neue Sachlichkeit“ gibt es in dieser Konstellation gar nicht. Erst quäkt der Nachwuchs mit Mickeymouse-Stimme aus dem Off, dann springen die Schauspielerinnen abwechselnd vom Mutter- zum Tochtertext und zurück.
Vor allem aber schlüpft da ein Riesen-Baby, das in voller Bühnen-Höhe mit viel Augenklappern die Szene beherrscht. Ausstatterin Luisa Wandschneider lässt das niedliche Monster wie einen Sündenfall von Gullivers Riesen-Reise mit viel Dampf und Gegenlicht gebären und im Zentrum der Szene parken. Dort kann es von den verzwergten Müttern nach Bedarf gewindelt, gekleidet und gehätschelt werden, wie es das Gugu-Dada vorschreibt. Ein fabelhaft absurdes Bild. Der Versuch, angemessen gerührt zu sein, stößt dabei zwangsläufig an Grenzen. Die vier Frauen, die alle Gefühls-Standards vom „spitzen Schrei“ bis zum „verschmitzten Lächeln“ in Selfie-Qualität bereit halten, nehmen weitere Wünsche gerne entgegen. Und sei es nur, um sie vorübergehend zu unterlaufen.
Die Nürnberger Inszenierung, die den pointenprickelnden, manchmal aber eben auch verzweifelnd komischen Text strikt wie Brausepulver einsetzt, kann freilich nicht darauf hoffen, dass die Zuschauer wie in einen Spiegel blicken. So gesehen war die Entscheidung, alles nur Show sein zu lassen, nachvollziehbar. Das Ergebnis ist eine schlüssige Alternative zur Uraufführung – wenn auch in einer anderen Liga. Das Premierenpublikum war amüsiert, betroffen sicher nicht.