Foto: Juan Francisco Gatell (Der Marquis), Nicole Chirka (Blanche, eine Halbweltdame), Sean Panikkar (Alexej Iwanowitsch, Hauslehrer der Kinder des Generals) und Peixin Chen (Der General a. D.) unterhalten sich aufgeregt. © SF / Ruth Walz
Text:Joachim Lange, am 13. August 2024
Nach Mieczysław Weinbergs „Der Idiot“ feierte eine weitere Oper nach Dostojewski bei den Salzburger Festspielen Premiere: Prokofjews „Der Spieler“. Damit bewiesen die Wiener Philharmoniker erneut, dass die Felsenreitschule ein Raum ist, der Werke der Moderne strahlen lassen kann.
Der amerikanische Regisseur Peter Sellars gehört in Salzburg zu den Regie-Stammgästen. Einer, der immer noch von einstigem Ruhm zehrt, aber längst zu den Szenikern gehört, die schmerzfreie Opulenz arrangieren. Das metaphorische Spielkasino profitiert jetzt vor allem von der Arkadenkulisse in der Felsenwand und von den sieben Roulette-Ufos, mit denen George Tsypin die moosgrünüberwucherte Breitbandbühne füllt. Die schweben wie eine Alien-Flotte immer wieder von oben ein und veranstalten eine Lichtshow, die dem deutschen Kurort Roulettenburg, den sich Dostojewski witzig selbstironisch ausgedacht hat, einen Hauch Las Vegas verpassen.
Auch sonst behauptet die Regie Gegenwart. Mit den Kostümen von Camille Assaf und mit einem flapsigen Sound bei den deutschen Übertiteln. Wenn sie sagen, dass sie sich Mails schicken, oder die Oma ausnehmen wollen – um mal das Harmloseste zu nennen – klingt das vor allem nur albern.
Vertonte Exzesse
Sergej Pokofjew (1891-1953) hat seine kraftvoll aufgeladene, oft rezitativische, erstaunlich modern klingende Oper in den Jahren 1915-1917 komponiert. Sie wurde aber erst 1929 in Brüssel uraufgeführt. Darin wird gezockt was das Zeug hält. Dostojewski wusste aus leidvoller eigener Erfahrung wovon er da schrieb. Heute ist diese Oper immer noch eine Ausgrabung, die gleichwohl mit dem aparten Charme einer typisch russischen Verlierergeschichte jeden Spielplan zieren könnte. Den von Festspielen allemal.
Musikalisch fasziniert eine merkwürdig modern anmutende, arienlose, fast opernferne Unrast. Dieses eher deftig als subtil gestrickte Konversationsstück entfaltet alsbald einen eigenen Drive und beschleunigt sich, wenn in der großen Roulette-Szene die Spielleidenschaft auf die finale Katastrophe zusteuert.
Dabei geht es eigentlich um das jeweils individuelle Scheitern des gesamten Personals. Der Versuch der Inszenierung, diesen Abwärtsstrudel als Kammerspiel zu zelebrieren, geht über ein Arrangement zwischen Auf- und Abgang an der Rampe kaum hinaus. Wenn die Roulette-Ufos einschweben, dann changiert die Szene allemal ins Revuehafte. Packend ist das nur, wenn eine ununterbrochene Glückssträhne (oder ein Fiebertraum) Musik und Szene gleichsam wie in einem Rausch explodieren lässt. Bis dahin verliert sich die Geschichte oft in den eigenen Details und Schlaglichtern, die die Verfassung einzelner Personen beleuchten. Dass Sucht eine Gefahr für die geistige Gesundheit ist, wird immerhin klar, wenn eine der Hauptrollen, Alexej, gegen allen Rat einfach nicht aufhören kann. Nach diesem Exzess ist er dann aber erstaunlicherweise wieder im Normalmodus.
Herausragendes Ensemble
Asmik Grigorian, die mittlerweile längst – ganz gleich in welcher Rolle – so etwas wie ein Festpielstar ist, ragt als selbstbewusste Polina aus dem durchweg exzellenten Ensemble heraus. Auch Sean Panikkar als Hauslehrer (und titelgebender Spieler) Alexej ist in Hochform. Zum Entsetzten des Generals (mit Basswucht: Peixin Chen) erfreut sich die alte Erbtante Babulenka immer noch ihres Lebens und ihrer eigenen Spielsucht. Sie denkt weder daran, abzutreten und den Erbfall eintreten zu lassen, noch ihrer Verwandtschaft pekuniär (finanziell) unter die Arme zu greifen. Violeta Urmana macht daraus einen vokal und darstellerisch beeindruckenden Auftritt. Auch Juan Francisco Gastell als Marquis, Michael Arivony als reicher Engländer oder Nicole Chirka als Halbweltdame Blanche tragen ihren Teil zu einer beeindruckenden Ensembleleistung bei.
In der Roulette-Szene, wenn alles eskaliert, wird das Personal noch mal um knapp zwei Dutzend Spieler aufgestockt. Die von Pawel Markowitz einstudierte Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor rundet das musikalische Erlebnis auf der Bühne ab. Und die Wiener Philharmoniker beweisen ihre Klasse als Alleskönner natürlich auch im Falle Prokofjew unter Leitung von Timur Zangiev.
Das Premierenpublikum war sich in der Felsenreitschule einig und applaudierte allen.