Foto: Eva Derleder und Antonia Mohr in der Karlsruher Uaufführung von "Irgendwann in der Nacht". © Felix Grünschloß
Text:Björn Hayer, am 18. Oktober 2013
Was bleibt von einer Liebe nach Jahren der Trennung übrig? Wie verändert die Leere, die sie immer hinterlässt, unser Leben? Die 1925 in Beirut geborenen Schriftstellerin und Essayistin Etel Adnan diskutiert diese und andere Frage in ihrem ergreifenden Drama „Irgendwann in der Nacht“, das derzeit in einer beachtlichen Uraufführung am Badischen Staatstheater in Karlsruhe zu sehen ist.
Erzählt die Autorin sanftmütig von der Widerbegegnung zweier, gealterter Liebender, bricht der Regisseur Mathias Hannus alle darin zu vermutende Statik und Schwere auf. Abwechselnd eignen sich Eva Derleder, Antonia Mohr, Robert Besta und Ronald Funke verschiedene Rollen an, spielen die Dialoge in unterschiedlichen Geschlechterkonstellationen durch und zeigen Liebe als universelles Gefühl jenseits von Alter und Norm. So schreibt Adnan selbst in ihren Vorbemerkungen zum Stück: „Es könnte auf dreierlei Arten gespielt werden: von zwei Frauen unterschiedlichen Alters, oder von zwei Männern unterschiedlichen Alters, oder von einer Frau und einem Mann, der viel jünger ist als sie.“ Der Regisseur nimmt das Vorschlagstableau ernst und setzt es in poetischer Intensität, getragen von einer ungemeinen Wahrhaftigkeit der Akteure, insbesondere von Eva Derleder, auf der Bühne um.
Dass er dabei eine lineare Handlung aufgibt, mag auch der Zerrissenheit der Protagonisten, deren Lakonie wie auch charakterlichen Konturen im Übrigen sehr an die Figuren von Marguerite Duras erinnern, Rechnung tragen. Während die Jünglinge nach Aufbruch dürsten, leiden die Erfahrenen an ihrer lähmenden Müdigkeit.. Mal in Sturm und Drang, dann an der Grenze zur Selbstaufgabe treten Erstere für die Widerbelebung des einstigen, gemeinsamen Glücks ein, derweil Letztere mit sich unentwegt hardern. Denn die in die Jahre gekommenen können die Vergangenheit nicht vergessen, geschweige dem übertünchen. Die Kulisse steht dabei ganz im Zeichen der Leere. Boden wie auch Wand geben das Bild einer weißen Fläche zu erkennen, von der sichtlich eine Oberflächsenstruktur, Farbe und Glanz, abgestreift wurden. Sie neu zu bemalen, liegt außerhalb der Kraft der Alten.
Nicht zuletzt der Tod scheint in diesem spannungsreichen Arrangement allgegenwärtig, er erweist sich sogar als Ausgangspunkt der ominösen Begegnungen, insofern das Ableben einer unbekannten Frau die Partner überhaupt erst wieder zueinander bringt. Das weiße Tuch über der Sterbenden auf einer Anhöhe im Hintergrund wirkt wie ein Fanal der Vergänglichkeit und lässt alle Festigkeit erschüttern. So ist auch der Boden gänzlich instabil. Denn zwei riesige Bretten – allein über zwei Mittelpfosten in der Höhe gehalten – kippen wie eine Schaukel ständig hin und her. Alle Gefühle, alle Uneinigkeiten scheinen im freien Fall – ein Entgleiten, das nachwirkt!
Unter dem vom „European Theatre Convention“ entwickelten Leitgedanken „Die Kunst des Alterns“, wozu Adnan hiermit einen sensiblen Prolog vorlegt, überzeugt das Staatstheater mit einem vielstimmigen wie souveränes Kammerstück. Chapeau, selten werden Liebe und Verlust als derart virtuoses Bühnenerlebnis fassbar!