Geboten wurde vokale Prachtentfaltung in den Hauptpartien. Auch, dass der Chor in Dresden wie die Staatskapelle zum sicheren Fundament gehört, lässt sich mit dieser chorlastigen Oper ganz hervorragend demonstrieren. Natürlich auch, dass die Staatskapelle nicht nur Strauss und Wagner in Premiumqualität draufhat. Der boitoaffine Italiener Andrea Battistoni jedenfalls ließ daran keinen Zweifel aufkommen. Wobei Boitos Musik zu Wagner nicht gerade auf Distanz geht.
Die Faustoper
Dass Boito (1842-1918), der heute vor allem als ein Librettist Verdis bekannt ist, ein Anhänger Wagners war, ist nicht zu überhören. Mit der Faustoper, die nach dessen Widerpart Mephisto benannt ist, schwebte ihm eine Synthese von italienischer und deutscher Kunst vor. Mit einer gegenüber der ursprünglichen deutlich gekürzten Fassung hatte er 1875 in Bologna schließlich auch Erfolg.
Für das Libretto der vier Akte zwischen Prolog und Epilog hat sich Boito so bei Goethes Original bedient, dass einem mit dem „Faust“ (ja zum Glück immer noch) vertrauten Publikum viele berühmte Zitate ein Déjà-vu-Lächeln ins Gesicht zaubern. „Vom Eise befreit“ bis zur „Gretchenfrage“ kommt jede Menge Vertrautes. Eine Collage mit Prolog im Himmel, Ostersonntag, Pakt, Martas Garten, Walpurgisnacht und Gretchens Kerker. Nach der Pause dann mit dem Traum vom Glück auf Erden mit der schönen Elena. Faust entkommt erst im redlichen Streben den Konsequenzen seines Paktes.
Ob es wirklich nötig war, dass Martina Gedeck in der hinzugefügten Sprechrolle als „Eine Frau“ eine wenn auch poetische Text-Collage aus beiden Faust-Teilen beisteuert, bleibt Geschmacksache. Die Versuchung aber aus dem gewaltigen musikalischen Aufwand auch szenisch eine große bunte Show von Revuenummern zu machen und allenthalben Bezüge zur Gegenwart aufzuspüren, liegt auf der Hand. Genau das machen Eva-Maria Höckmayr (Regie), Momme Hinrichs (Bühne und Video) und Julia Rösler (Kostüme) aber nicht.
Perspektivenwechsel
Sie knüpfen eher am Gehalt von Goethes Stichworten an und nehmen Boitos Perspektivenwechsel von Faust zu Mefistofele ernst. Sie suchen im Grunde das Faustische im Mephisto und nicht umgekehrt das Teuflische im Menschen. So imaginiert die Szene eher abstrakt eine Welt der Gedanken und nicht das dralle Menschenleben. Auf der abgekippten und geteilten, dauerrotierenden Drehscheibe, erst vor dunklem Rundhorizont, dann vor einer dreietagigen Galerie voller Zuschauer mit einem herabhängenden Spiegel oben drüber. Ein Konstrukt, das an eine Ulrich-Rasche-Bühne (die man Dresden schon im Schauspielhaus bewundern konnte) erinnert. Hier lässt Mefistofele wie ein Showmaster gleichsam die Puppen respektive quer durch den Fundus kostümierte Menschen tanzen.
Mefistofele beginnt als zynischer Nihilist, der mit Verachtung auf alles Menschliche blickt, bleibt aber gerade von der Liebe, die er bei seinem Faust-Experiment beobachten kann, nicht unberührt. In der Elena-Episode haut ihn das sogar im Wortsinn um. Vieles (vor allem das Orgiastische der Walpurgisnacht) mag an diesem Abend stilisierter Verweis bleiben. Mefistofele und dessen Wandlung behalten wir aber immer im Blick. Nicht nur wenn sich die Bühne wie eine Linse um einen Ausschnitt schließt.
Im Zentrum des Ensembles überzeugt Krzysztof Bączyk als immer menschlicher werdender Mefistofele vokal und mit seinem souverän lockeren Spielmacherhabitus. Als Faust imponiert Pavol Breslik auch mit dramatischer Kraft. Marjukka Tepponen ist eine leidenschaftlich leuchtende Margherita, Clara Nadeshdin eine fulminante Elena. Auch alle anderen (inklusive der Chöre) trugen ihren Teil zu einem ästhetisch in sich geschlossenen szenisch Wurf auf hohem musikalischem Niveau bei!