Foto: Christoph Pohl und Heidi Stober in „Die Jüdin von Toledo“. © Ludwig Olah
Text:Roberto Becker, am 11. Februar 2024
Detlev Glanerts „Die Jüdin von Toledo“ ist individuell zugeschnitten auf die Stimmen der Sängerinnen und Sänger der Semperoper Dresden. In der Uraufführung, die auf Liebe und Staatspolitik fokussiert, glänzt auch die hervorragende Sächsische Staatskapelle.
Natürlich gibt es nicht mehr die legendären Sonderzüge nach Dresden zu einer Uraufführung, wie sie immer wieder von der des „Rosenkavaliers“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal kolportiert werden. Aber für heutige Verhältnisse war der Rummel im Vorfeld der Premiere von Detlev Glanerts neuer Oper „Die Jüdin von Toledo“ schon beachtlich. Auch die Übertragung im Rundfunk ist ja keine Selbstverständlichkeit mehr. Dabei war das Risiko, dass hier irgendwas nicht so klappen könnte, wie erhofft, ziemlich gering.
Obwohl die Romanversion der Geschichte von Lion Feuchtwanger bekannter ist, hat Librettist Hans-Ulrich Treichel das gleichnamige Drama von Franz Grillparzer aus dem Jahre 1855 als Vorlage genutzt. In den unruhigen Zeiten der Reconquista um 1195 fängt der König Alfonso VIII. von Kastilien ein stürmisches Liebesverhältnis mit der jungen Jüdin Rahel an. Weil es ihn so in Anspruch nimmt, dass er nicht nur seine Gemahlin, sondern auch seinen Job als Herrscher und auch als oberster Kriegsherr im Kampf gegen die Mauren, völlig vernachlässigt, formiert sich Widerstand. Den führt die als Frau hintergangenen Königin an und formiert daraus eine breite Allianz aller Größen des Reiches gegen den König.
Rationale Macht gegen Utopie
Die operntypische Kombination aus Liebesgeschichte und Haupt- und Staatsaktion gipfelt im dritten der fünf Akte in einem einberufenen Staatsrat, bei dem nur das persönliche Erscheinen des Königs in letzter Minute seine Absetzung verhindert. Was folgt ist ein fulminantes Duell zwischen der Königin als personifizierter Staatsräson und dem König als Inbegriff von Zögerlichkeit und Schwäche. Die Königin hat die Rationalität der Macht, der König nur die Utopie einer unmöglichen Liebe auf seiner Seite. Sowas geht immer (siehe „Don Carlos“) zugunsten der Macht aus. Zumindest wenn eine Geschichte erzählt wird, die eine Beziehung zur Realität des Lebens hat.
Heidi Stober singt als Rahel, die Jüdin von Toledo. Foto: Ludwig Olah
Der Erfolg der Opernnovität war auch deshalb vorprogrammiert, weil Glanert ein zuverlässiger Arbeiter und kooperativer Zeitgenosse ist. Er berücksichtigt zum Beispiel die Möglichkeiten und besonderen Stimmqualitäten der Protagonisten, wenn er sie (wie hier) vorher kennt. Was im Barock üblich war, nämlich quasi in die Kehlen der Protagonisten zu komponieren, ist heutzutage eher die Ausnahme. Es ist daher kein Wunder, wenn Heidi Stober eine so jugendlich verführerische Rahel ist und Lilly Jørstad die dazu passende, ernst zur Vorsicht mahnende Schwester an ihrer Seite. Besonders Christoph Pohl als Alfonso, der zwischen Aussteiger und letztlich doch an der Macht hängendem König schwankt, profitiert von dieser Passgenauigkeit. Für Tanja Ariana Baumgartner ist die machtbewusste Königin ein Fest an dramatischem Auftrumpfen. Aber auch Markus Marquardt als Graf von Lara und Aaron Pegram als dessen Sohn machen die fürs Haus angemessene, gute Uraufführungsfigur!
In Höchstform
Detlev Glanerts Novitäten (darunter die nunmehr 13 Opern) sind nicht nur eine Herausforderung für die Liebhaber extravaganter Klangfinessen. Bei ihm ist nicht das mutwillige Ausweichen vor jeder bekannten Sequenz das Motto seiner Arbeit; er setzt seine Noten auch mit dem Gefühl, dem Herzen, wenn man so will aus dem Bauch. Damit liefert er immer wieder Opulenz und puren Klanggenuss. Für solche delikat eskalierenden Orchestertutti ist die Sächsische Staatskapelle schon deshalb prädestiniert, weil sie das Richard-Strauss-Orchester schlechthin ist. Die meisten Strauss-Opern wurden hier mit dieser Kapelle aus der Taufe gehoben.
Für alle Komponisten, die auf den Schultern der Spätromantik stehen und von da in die Ferne schauen, ist die sozusagen genetische Disposition dieses Orchesters eine Steilvorlage. Und die nutzt Glanert weidlich. Allein die Orchesterzwischenspiele sind vom Feinsten. Da weiß einer wirklich etwas mit dem Orchestererbe anzufangen und weicht ihm nicht aus. Allein das lohnt diese Novität. Noch dazu, wenn die Sächsische Staatskapelle unter Leitung von Jonathan Darlington in derartiger Höchstform aufspielt wie an diesem Abend!
„Die Jüdin von Toledo“ ist in jeder Hinsicht eine vitale Oper mit erkennbarer, hinreichend dramatischer Handlung und Offenheit in Richtung Gegenwart. Mit prachtvollen Gesangsrollen, packenden Duetten (vom ausführlichen Liebesduett im Tristan-und-Isolde-Format wie das zwischen Alfonso und Rahel bis zum Duell auf Leben und Tod zwischen Alfonso und seiner Gemahlin Eleonore); mit großen Chören und einer musikalischen Abwechslung, die die Spannung über die gesamten fünf Akte aufrechterhält.
Liebe und Zerstörung
Dazu gehört der Traum der Liebenden, den Regisseur Robert Carsen im Säulenlabyrinth hinter dem Paar, als große Versöhnung zwischen einträchtig jeweils auf ihre Art betenden Katholiken, Juden und Mauren zelebriert. Im Gegensatz dazu steht die letzte Szene. Hier wird zum Krieg gerüstet. Moderne Handfeuerwaffen werden gesegnet. Videos zeigen mit schweren Waffen im Einsatz und Zerstörungen, wie sie heute mehr denn je jede Nachrichtensendung dominieren. Dass der Chor in Kampfuniformen sich dann teils auch Schals um die Schultern legt und am Ende zu Boden geht, verweist auf die zerstörerische Wirkung jedes Krieges für alle Seiten. Die Ratlosigkeit, mit der der Sohn des Königs am Ende ins Publikum blickt, darf man durchaus als direkte Aufforderung zum eigenen Nach- und Weiterdenken auffassen.
Regisseur Robert Carson und sein Team (zu dem Luis F. Carvalho, und Peter van Praet gehören) imaginieren recht karg die Atmosphäre des königlichen Gartens oder Landhauses mit einem Labyrinth aus Säulen und Bögen. Der Saal des Schlosses, in dem der Staatsrat tagt, ist die Raum gewordene Macht der Ordnung. Mit jeder Menge Platz für den Aufmarsch der von Jonathan Becker präzise einstudierten Chöre.
Kraftvolle Aufführung
Dass die arabische Ud mit ihren atmosphärischen Zupftönen, diesen fulminanten Abend einleitet und sich immer mal in den ruhigeren Passagen zu Wort meldet, evoziert zwar mediterranes maurisches Flair, lockt aber doch auf eine falsche Fährte. Im Ganzen geht es hier nämlich kraftvoll und vital zur (Opern-)Sache. Das Premierenpublikum war begeistert.