Foto: © Sebastian Hoppe
Text:Roland H. Dippel, am 20. Dezember 2024
„Ändere die Welt!“ an der Semperoper in Dresden versucht die Gefühlslage Post-Revolution einzufangen. Regisseur Mart van Berckel und musikalischer Leiter Pedro Beriso inszenieren weniger durchdringend und kreieren einen mit Action und Agitprop ausgeschmückten Liederabend.
„Was ist los außerhalb deiner Bubble?“ – „Auf der Welt gibt es Sklaverei und du denkst nur an die Erhöhung deiner Steuern.“ So orakelt die durch den postrevolutionären und ramponierten Raum von Vera Selhorst schreitende Kunstfigur Amara. Figuren- und Personenname der Performerin Amara van der Elst sind identisch. Hier trägt sie weißes Kleid und schwarz-gelbe Stabzöpfe. Amara schleudert Fragen ins Semper Zwei. In englischer Sprache fordert sie Bewusstheit. Dem am Ende vollauf begeisterten Publikum heizt sie mit fast demagogischer Rhetorik ein. Es geht um das Trümmerfeld nach einer Revolution – also um böse Gegenwart im Allgemeinen, im modifizierten Regiekonzept von Mart van Berckel auch um Dresden im Besonderen.
Intendantin Nora Schmid hatte das zum Opera Forward Festival in Amsterdam entstandene und vom niederländischen Magazin Theaterkrant als beste Neuproduktion der Spielzeit 2023/24 ausgezeichnete Aktionstheater „Ändere die Welt!“ ins Semper Zwei übernommen. Dort hat sie es mit Hausbesetzung und Regionalbezug einstudieren lassen. Robert Schumann nannte die bürgerliche Revolution 1848 einen „Völkerfrühling“ und der steckbrieflich gesuchte Richard Wagner setzte sich von Dresden nach Zürich ab.
Nach der Revolution
Durch die Doppeltür einer langen Milchglaswand drängen das Sängerquartett, das mit großen Augen auf die Verwüstungen blickende Kind und das Projektorchester auf die breite Spielfläche. Ein skulpturartig getürmter Stuhlhaufen wird zerlegt. Amara bepinselt das Wandglas: „Ändere!“ Und van Berckels zentrale Frage lautet: Wie leben wir nach geschlagenen Revolutionen mit den Bürde des eventuellen Scheiterns, der Ernüchterung, der Erschlaffung? Die Farbsymbolik verweist auf die großen Revolutionen bis 1918 oder um eine populistische in naher Zukunft. Nicht gemeint sind zwei weitere wichtige, von denen nicht wenige Zeitzeug*innen im Premierenpublikum saßen, nämlich die sexuelle vor 1970 und die friedliche von 1989. Das Kreativteam hatte dies zur mentalen Topographie nicht auf dem Konzept-Schirm. Deshalb wirkt diese Produktion auch nicht so schillernd wie andere im Semper Zwei, wo man gern Zeitgenössisches, Experimentelles und Operetten bzw. Musicals zur Horizonterweiterung des Semperoper-Ensembles ansetzt. Das Pasticcio „Ändere die Welt!“ gerät zum mit Action und Agitprop garnierten Liederabend.
Das Ensemble in „Ändere die Welt!“ an der Semperoper in Dresden. Foto: Sebastian Hoppe
Die Arrangements, zu denen sich auch Musikerinnen und Musiker von exponierten Soloinstrumenten wie der grell schmetternden Pikkoloflöte im Raum verteilen, erklingen mit der Grobheit eines Zapfenstreichs. Möglicherweise hätte sich das Projekt „homemade“ mit Inspiration durch eine regionale Elbflorenz-Muse besser entwickelt. Die Soundscapes (Wouter Snoei) und das Sounddesign (Timo Merkies) wirkten unverbindlich wie das rote Licht und die Schatteneffekte.
Patriotisches Duett
Vier Figuren ziehen durch die 80 Minuten, zwei Soprane und zwei Baritone: Eine Trauernde (Fernanda Allande), eine Mutter (Magdalena Lucjan), ein Revolutionär (der Russe Anton Beliaev) und ein gar nicht so alter Mann (der Ukrainer Vladyslav Buialsky). Die psychischen Revolutionsblessuren wirkten bei jeder Figur heftiger als physische. Schatten, Morbidität oder gar Melancholie wurden musikalische Mangelware. Durchdringend, kraftstrotzend und stählern klangen die Stimmen bei der Premiere. Von einer dialektischen oder gar subtilen Durchdringung blieb man weit entfernt. Klärchens „Die Trommel gerührt“ aus Beethovens „Egmont“-Schauspielmusik hackte wie die Hymne zu einem Reichsparteitag. Das patriotische Duett, ein veritabler Hit aus Aubers „Die Stumme von Portici“, hatte echt militärischen Schneid.
Und die mit großer Opernstimme gesetzten Eisler-Lieder kamen einer gesungenen Themaverfehlung gleich. Das hätte man bereits auf den Schlussproben bemerken müssen, vor allem im betreffend politische Tendenzmusik und kleine Fluchten in die Schönheitstrunkenheit besonders zartfühlenden Dresden. Natürlich wollen sich junge Ensemblemitglieder von ihrer stärksten Seite zeigen. Doch ist es Sache der Einstudierung, Unterschiede zwischen Energie, Enthusiasmus und Fortissimo-Dauerdruck bewusst zu machen. Farbintensiv wie der Gesang waren die aus verschiedenen Dekaden des 20. Jahrhunderts gemischten Kostüme von Rosa Schützendorf. Amara setzte am Ende nochmals die Frage nach dem Sinn von alledem. Der Applaus erreichte nicht ganz die Lautstärken dieser Kraftübung zur gut gemeinten Denkertüchtigung.