Foto: Der "Sturm" auf dem Parkdeck 7 in Tübingen. © Landestheater Tübingen
Text:Bettina Schulte, am 5. Juli 2013
Neckargarage: Der Name ist gerechtfertigt. Von Parkdeck 7 aus hat man einen großartigen Blick über den Fluss, an dem Tübingen liegt. Boote ruhen unten im Abendlicht, Gelächter dringt herauf – und oben, unter freiem Himmel, mag man sich auf einer höher gelegten Insel wähnen. Kein Zweifel: Der Schauplatz ist gut gewählt für die Gestrandeten von Shakespeares spätem Drama „Der Sturm“, das die Intendantin des Landestheaters Württemberg-Hohenzollern Simone Sterr für das jährlich stattfindende Tübinger Sommertheater inszeniert hat. Open-Air-Theater setzt, inspiriert durch den ungewöhnlichen Ort, gern aufs Spektakel: Dass die Regisseurin den verbannten alten König Prospero auf einem schicken roten Motorroller heranbrausen lässt, liegt in einem Parkhaus nicht eben fern. Auch sein Helfer Ariel bedient sich bei der Arbeit eines Elektrogefährts mit praktischem Anhänger, auf dem die ganze Gruppe der Schiffbrüchigen Platz findet. Selbst der Hexensohn Caliban, der in einer Ecke der mit einer steilen Zuschauertribüne versehenen weitläufigen Fläche einen Schrotthandel betreibt, und die trinkfesten Narren Trinculo und Stephano sind auf Rädern unterwegs: mit einem Kinderroller und einer fahrenden Tiefkühltruhe (für alkoholischen Nachschub ist so bestens gesorgt).
Ganz schön viel los also auf Parkdeck 7. Hoch oben über allem hat der Musiker und Multimedialkünstler Markus Lang sein Equipment aufgebaut. Ihm gebührt der strategische Überblick, denn die Sounds spielen an diesem zweieinhalbstündigen Abend die entscheidende Rolle. Blitz und Donner klingen in Tübingen wie schwerste elektrische Kurzschlüsse, es grummelt und fiept und summt aus den Boxen – und natürlich darf auch gesungen werden: Karlheinz Schmitts wendiger Ariel im ätherischen Blaumann muss durch wenig geistvolle Zeilen wie „Gagockelt Kikriki wie nie!“ hindurch – und Patrick Schnickes Stephano arbeitet sich in einem Trinkmedley durch einschlägiges deutsches Schlagergut.
Und wo bleibt Shakespeare? Von einem tieferen Interesse der aktionistischen Regie an den Figuren dieses rätselhaften Spätwerks kann nicht die Rede sein. Unter diesen Umständen bleibt vor allem Walter Sachers Prospero schwach. Was ihn bewegt, was ihn antreibt: Man kann es nur ahnen. Seine Mission beschränkt sich darauf, seine blutjunge Tochter Miranda mit dem Richtigen zu verkuppeln: Dass die beiden ihre Liebe einander in einem Duett auf Rollschuhen demonstrieren, wundert bei so viel gerädertem Einsatz nicht mehr. Zu denken geben muss allerdings, dass in diesem Mobilitätsrausch ausgerechnet Marion Bordats weise Staatsrätin Gonzalo sich nur mit Hilfe einer Krücke fortbewegen kann. Bedeutet das das Ende aller Visionen vom idealen Staat? Vielleicht soll Prosperos Tod am Elektrozaun da ja gewisse Assoziationen wecken. Vielleicht. Am Ende tutet in der Stadt ein Martinshorn. Schön, wenn die Umgebung so mitspielt. Und schön ist auch der giftig grüne Baum, der so unwirklich in die Nacht ragt. Das nimmt man mit aus Tübingen. Parkdeck 7 ist nicht Prosperos Insel.