Rainer Casper hat einen schwarzen Raum auf die Bühne gebaut, auf dessen Wänden sich eine mit leuchtender Kreide gezeichnete Bildergalerie eröffnet. Abbildungen von Quallen, Krokodilen, Menschen und deren Schädeln. Bildschirme, auf denen bewegte Portraits der Schauspieler abgespielt werden. Ein naturhistorisches Museum, wenn man so will. Eine Abrechnung mit der Spezies Mensch. In einem Hinterzimmer liegt eine nackte hochschwangere Frau, die erstaunliche Ähnlichkeit mit Beate Zschäpe aufweist. Tina Keserovic ist die einzige Schauspielerin, die ein menschliches Antlitz tragen darf. Die anderen, Thomas Hauser, Jelena Kulji?, Jonas Grunder-Culemann, Lena Lauzemis, Damian Rebgetz und Wiebke Puls, sind bis zur Unkenntlichkeit entstellt: Rot-orange geschminkt, mit Elfenohren und einem Kranz aus weißen Haaren sehen sie aus, als wären sie nicht von dieser Welt. Und möglicherweise sind sie das auch nicht. Im Hintergrund sehen wir die Erde aus dem Weltall, die sich immer weiter entfernt. Außerirdische also mit Zschäpe als blinder Passagierin, ein Alien, sie, der einzige Mensch in dieser Runde.
In 90 Minuten wird von Gemälden der Renaissance bis hin zur Mini-Playback-Show deutsche Kulturgeschichte abgewickelt, allerlei politisch (Kurt Eisner) und privat (Ernst August Wagner) motivierte Morde sowie das Versagen des Rechtssystems am NSU angerissen. Mondtags Inszenierung ist eine lose Verknüpfung von Gedanken, Zitaten und Themen, deren Zusammenhang oft nur den Beteiligten selbst klar ist. (Wenn überhaupt.) Von Sophokles über das Deutsche Strafgesetzbuch, Franz Kafka, Spongebob und Angela Merkel bis Dr. Oetker gibt es quasi nichts und niemanden, der hier nicht zitiert wird. Eine Auseinandersetzung mit dem titelgebenden kulturellen Erbe: Was bleibt von der Menscheit? Von Deutschland? Von München? Und die große Frage: Hilft Kultur beim Aufarbeiten von Schuld? Ist das Böse darstellbar?
Eher nicht. Und so kann man Mondtags Inszenierung auch als selbstironischen Blick der Gattung Theater auf sich selbst interpretieren. Während die Schauspieler slapstickartig nach den richtigen Akten suchen, sich auch mal wie Dönerfleisch um einen imaginären Spieß drehen und im Chor endlos die Nummern von abertausenden Beweismitteln aufsagen, schleicht die schwangere Zschäpe um sie herum. Sie gibt sich niedlich, hüpft Kästchen und brüllt auch mal wie ein Affe. Ein infantiles, unzurechenbares und ungezähmtes Wesen, das auf das Kindchenschema setzt, dann aber plötzlich die Opfer des NSU verhöhnt.
Am Ende werden die im Schwarzlicht leuchtenden Aliens zu Geburtshelfern. Und siehe da: Es ist ein Gehirn. Wer da nun seines verloren hat, ob nur Zschäpe selbst oder ganz Deutschland, wird wie so vieles an diesem verworrenen, seltsam albernen Abend nicht klar.