Foto: Heinz Göhrig und Franz Hawlata in "Der Räuber Hotzenplotz" an der Oper Stuttgart © Matthias Baus
Text:Manfred Jahnke, am 5. Februar 2023
Es ist kaum zu glauben: Otfried Preußler könnte in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiern. Mit ihm der berüchtigte Räuber Hotzenplotz mit seinen sieben Messern, sowie Kasperl, Seppel, die Großmutter und der höchst fähige Wachtmeister Dimpfelmoser. Das muss man feiern, hat sich das JOiN, die Junge Oper Stuttgart in Zusammenarbeit mit der Staatsoper Stuttgart gedacht und dem Komponisten Sebastian Schwab den Auftrag gegeben, zu dieser Geschichte Musik zu erfinden. Das ist ihm auf faszinierende Weise gelungen, mit 29 Musiker und Musikerinnen im Orchestergraben: Zu Beginn dominieren zirzensische Töne, die Tuba fällt besonders auf. Später dann tönen Klänge im Vordergrund, die mal an Mozart oder mal an Wagner erinnern. Dabei erscheint die Instrumentierung ungewöhnlich, nicht nur am Anfang dominieren die Blechbläser, sondern es mischen sich auch die Töne von in der Oper ungewöhnlichen Instrumenten ein wie Akkordeon oder Cimbalom. Sebastian Schwab hat eine spannungsvolle Komposition geschaffen, die sehr genau in die Geschichte vom Räuber Hotzenplotz hineinhört und sie zum Klingen bringt. Zwischen Partitur und den durch die Vorlage definierten Figuren ergeben sich starke Gemeinsamkeiten. Schwab hat eine komplexe Struktur geschaffen, dass sie aber schwieriger zu dirigieren sei als ein Wagner, wie es in einem Vorbericht zu lesen war, das ist eine kühne Behauptung.
Vorabfotos der Stuttgarter Uraufführungsinszenierung versprachen ein eindrucksvolles Commedia-Theater. Dieses Versprechen löst die Inszenierung von Elena Tzavara nur teilweise ein. Die Figuren des Kasperltheaters werden klassisch interpretiert. Das Bühnenbild von Elisabeth Vogetseder arbeitet auf einer Drehbühne, die von Bühnenarbeitern sichtbar bedient wird, mit fünf Vorhängen von unterschiedlicher Größe und Farbe, wobei die Farbe den einzelnen Handlungsort andeutet – der große schwarzsilberne Vorhang beispielsweise den Ort des Zauberers. Das ermöglicht schnelle Verwandlungen, verlässt sich aber letztendlich auf die genauen Figurenbeschreibungen bei Preußler.
Elena Tsavara hat das Libretto geschrieben und Annette X. Weber gemeinsam mit Susanne Lütje die Liedtexte. Die Handlung hält sich dabei eng an die Vorlage von Preußler. Eine Art Strichfassung, bei die Liedtexte, die melodiös durchkomponiert sind, eine herausragende Stellung einnehmen, könnten kleine Ohrwürmer werden. Einstweilen erhält das junge Publikum am Schluss eine kleine Tüte mit Goldtalern, Gummibärchen und einem Aufkleberpapier – Programmhefte sind konsequenterweise nur für Erwachsene gedacht.
Ganz eigene Energie
Es gab eine Zeit, an der sich jede „Räuber Hotzenplotz“-Inszenierung an dem Film mit dem ganz eigenen Hotzenplotz-Lachen von Gert Fröbe abarbeiten musste. Diese Zeiten sind vorbei! In Stuttgart muss kein Hotzenplotz mehr das Fröbel-Lachen imitieren. Franz Hawlata spielt diese Figur flink-hinterlistig. Er wuselt schon vor Beginn durch das enge Foyer, das mit Fahndungsplakaten vollgepflastert ist. Einer mit Pfiff, der sich zwar durch seine Goldgier blenden lässt, aber dann ganz cool seine Gegenmaßnahmen trifft.
Wenn da nicht der Zauberer Zwackelmann wäre, den Heinz Göhrig in seiner Sucht nach Bratkartoffeln mit großer Leidenschaft aufzeigt, ohne die mitreißende Wirkung von Josef Meinrad (im Film) zu erreichen. Aber auch er reißt mit, wie alle anderen Figuren auch, wie die Großmutter der Maria Theresa Ullrich oder dem grenzenlos von sich selbst überzeugten Wachtmeister Dimpfelmoser von Torsten Hofmann. Die große Gegenfigur von Hotzenplotz ist Kasperl, der in der Gestalt von Elliott Carlton Hines einen starken Widerpart bildet, voller Witz, während Seppel in Gestalt von Dominic Große eher tumb daher kommt.
Aber das sind alles – wie auch bei der Fee Amaryllis von Clare Tunney – Rollenklischees, die dem „Räuber Hotzenplotz“ in seiner Rezeptionsgeschichte prägen. Ihnen trotz der spannenden Kompositionen von Sebastian Schwab und dem Engagement des musikalischen Leiters Florian Ziemen etwas zu begegnen, verweigert die Regie von Elena Tzavara. Sie versucht zwar Akzente in Richtung einer Publikumsbeteiligung zu setzen, beispielsweise mit der berühmten Kasparlfrage: „Seid Ihr auch schon alle dar?“ – aber warum? Das ist die Krux mit dieser Uraufführung: In sich ist alles stimmig, aber ich begreife nicht, was mir da eigentlich erzählt wird. Irgendwie empfinde ich da die Welt um mich herum, auch im Kasperlspiel mit meinen Enkelkindern, komplexer, als es mir diese Oper es erzählen will.