Foto: Die Zahnräder der industriellen Revolution: Szene aus Helmut Oehrings "SehnSuchtMEER " mit Simon Neal als Holländer. © Monika Rittershaus
Text:Detlef Brandenburg, am 9. März 2013
Zunächst einmal muss man der Deutschen Oper am Rhein ein Kompliment machen: Indem sie den Komponisten Helmut Oehring beauftragte, sich mit Richard Wagners „Fliegendem Holländer“ auseinanderzusetzen, hat sie mehr Mut bewiesen als die meisten anderen Opernhäuser, die auch im Wagnerjahr nur selten vom üblichen Einerlei des Repertoires abweichen. Oehring bildet ja mit dem Regisseur Claus Guth und dem Bühnenbildner Christian Schmidt so etwas wie ein Dreamteam. Die drei haben mit „BlauWaldDorf“ 2002 in Aachen und mit „Unsichtbar Land“ 2006 in Basel faszinierende Musiktheater-Kreationen auf die Bühne gebracht. Und da zudem pünktlich zur Premiere bekannt wurde, dass die Opernehe zwischen Düsseldorf und Duisburg, den Trägerstädten der Deutschen Oper am Rhein, wohl vorerst gesichert ist, standen die Vorzeichen für einen gelungen Abend nicht schlecht. Am Ende aber erwies sich Oehrings Musiktheater „SehnSuchtMEER oder Vom Fliegenden Holländer“ in fast allen Belangen als herbe Enttäuschung.
Bleiben wir zunächst bei diesem „Fast“: Der Abend hat theatrales Potential und starke Momente. Christian Schmidt hat für alle die verzweifelten Sehnsuchts-Junkies, die Oehring und seine Librettistin Stefanie Wördemann auf die Spuren des „Fliegenden Holländers“ setzen, intensive Bilder gefunden. Das Geschehen spielt in einer Art Kirche, die auch eine Industriehalle sein könnte: ein unwirtlich-schummeriger Raum mit großen Stahlsprossenfenstern, hinten dunkelt eine wuchtige Eisenempore vor sich hin, beizeiten heben sich monströse Zahnräder aus der Versenkung, die an die industrielle Revolution erinnern. Das macht nicht nur als historischer, sondern auch als biographischer Verweis Sinn. Denn auch Wagners Affäre mit der Unternehmergattin Mathilde Wesendonck findet – im Klangzitat der „Wesendonck-Lieder“ – ihren Platz in „SehnSuchtMEER“. Und diese sehr musische und empfindsame Dame stammte aus Elberfeld, ihr Mann Otto kam aus Barmen, beides Ursprungsorte der Industrialisierung, von der die Unternehmer-Familie wirtschaftlich profitierte. Faszinierend ist auch der Vokalartist David Moss, einer der beiden Erzähler, der mit seiner Hauch-, Röchel-, Jaul- und Stammelverfremdung des Liedes „Schmerzen“ eine hinreißende Ausdruckskraft erreicht. Oder der Kontrabassist Matthias Bauer, Alter Ego des Holländers, der mit seinen Improvisationen und Vokalaktionen eine leise, bizarre Verzweiflungsaura um den sinistren Seefahrer legt.
Doch in der formalen und dramaturgischen Gestaltung seines Materials scheitert der Abend auf ganzer Linie. Das fängt schon beim Libretto an: Wördemann montiert Zitate des „Holländer“-Librettos, der Wesendonck-Lieder, aus Heines „Schnabelewopski“ (dessen „Holländer“-Episode Wagner zu seinem Werk inspiriert hatte) und Heine-Gedichten sowie aus Andersens Märchen von der „Kleinen Meerjungfrau“ zu einem Sammelsurium aus Komponistenbiographie, Werkentstehungs-Binsenweisheit, Referenz an den Ort der Premiere (Heine wurde in Düsseldorf geboren) und freien Assoziationen, das nie zu thematischer Dringlichkeit findet. Und ihr Arrangement der verdoppelten Figuren wirkt seltsam beliebig: Der Holländer wird durch einen Kontrabassisten, die Senta-Sopranistin durch die in der Gehörlosensprache gestikulierende Gebärdensolistin Christina Schönfeld gedoppelt, Moss steht als zweiter Erzähler der Schauspieler Rudolf Kowalski zur Seite.
Vor allem aber bleibt Oehrings Musik die strukturelle Auseinandersetzung mit Wagner weitgehend schuldig. Sie wirkt wie ein formlos mäandernder Soundtrack aus Klangflächen, rhythmischen Zerklüftungen, E-Gitarrenriffs, elektronischen Rumpel- und Prassel-Tupfern, schräg verfremdeten „Holländer“-Motiven und mikrophonverstärkt gesprochenen Erzählerpassagen. „Antwortopern“ nennt Oehring seine Werke, die sich mit Musik früherer Komponisten auseinandersetzen. Diesmal aber hat er eine Art Geisterbahnmusik mit Wagnermotiven geschrieben, die jede Antwort schuldig bleibt. Sie beutet das Werk durch Zitate aus, ohne Augenhöhe mit ihm zu erreichen. Und Claus Guths Inszenierung stellt noch nicht einmal präzise Fragen. Ihr fehlt die dramaturgische Schlüssigkeit und Deutungsschärfe, sie baut lediglich einprägsame Tableaus zum Allerweltsthema „Sehnsucht“, verzettelt sich aber ebenso im Assoziations-Wirrwarr wie das Libretto. Mit seiner Inszenierung von Wagners originalem „Holländer“ 2003 in Bayreuth hatte dieser Regisseur viel tiefer, genauer, bezwingender an die Sehnsüchte und Ängste seiner Protagonisten gerührt. In Düsseldorf wurde lediglich das Verschwommene zum Ereignis.
Das musikalische Niveau der Aufführung war durchschnittlich. Oehrings verschwurbelte Musik gibt dem Orchester unter der Leitung von Axel Kober wenig Gelegenheit, sich auszuzeichnen, der Chor ist mit einiger Subtilität bei der Sache. Die Sopranistin Manuela Uhl hat ein schönes klares Piano, wirkt mit den dramatischen Spitzen der Senta-Zitate aber überfordert. Und Simon Neal als Holländer stürzt sich mit Verve in Oehrings Gesangsverfremdungen, bleibt in den Originalpassagen des Holländers aber flach und ohne sinnerfüllte Artikulation.
Das Publikum war’s zufrieden und applaudierte freundlich.