Foto: Die Uraufführung "Das Fleischwerk" in Bochum. Im Zentrum: Bernd Rademacher (Rabanta) und Minna Wündrich (Susanna) © Arno Declair
Text:Hans-Christoph Zimmermann, am 13. September 2015
Wenn so die Alternative zur Herkunft aus einem „sicheren Drittstaat“ aussieht, dann sind Zweifel angebracht. Christoph Nussbaumeder zeigt in seinem neuen Stück „Das Fleischwerk“ die Ausbeutung von Wanderarbeitern aus dem EU-Land Bulgarien in der hiesigen fleischverarbeitenden Industrie, die bekanntlich nicht frei von mafiösen Strukturen ist. Der junge Andrei hat seine schwangere Frau zuhause gelassen und klotzt in einem Schlachtbetrieb für Schweine ran. Als Überstunden und Mindestlohn nicht gezahlt werden, begehrt er auf. Matthias Kelle spielt ihn als sachlich argumentierenden Rebell, der auch mit Massenstreik drohen oder über Odysseus und die Thraker reden kann. Liebevoll skypt er mit seiner Frau Susanna, berichtet detailliert von seiner Arbeit, bei der er schließlich den Tod findet.
Christoph Nussbaumeder gilt als Sozialdramatiker in der Tradition von Horvàth und Marieluise Fleißer, der dem Arbeiter- und Angestelltenmilieu zum Auftritt verhilft. „Das Fleischwerk“ erfüllt thematisch diesen Anspruch und gibt sich dazu noch ziemlich brechtisch. Die Szenen tragen Überschriften wie „Der Mindestlohn – Im Fleischwerk I“, es werden ironisierende Prosatexte über Spartacus oder Wanderarbeiter dazwischengeschaltet. Der Plot verweigert sich einer Chronologie und springt zwischen den Zeitebenen hin und her. Doch Nussbaumeder dramaturgisches Verfahren drückt sich allzu offensichtlich wie ein Gerippe durch die Haut des Stücks. Zwar werden die Abhängigkeiten in der Fleischindustrie anschaulich, es gibt auch zahlreiche fernsehspielhafte Erklärungssätze fürs Publikum, doch den Figuren hilft das kaum auf die Beine. Andrei bleibt als Figur genauso blass wie der Vorarbeiter Georgi, von Matthias Eberle als aufgeputschter Lautsprecher gespielt, oder die naive Valentina (Veronika Nickl), die Andrei verrät und schließlich im Puff landet. Glaubhafter wirkt da schon der iranischstämmige Subunternehmer Akif, der nicht nur seine Arbeiter ausbeutet und Frauen auf den Strich schickt, sondern auch Andrei in der Betäubungsanlage des Betriebs umbringt. Roland Bayer spielt ihn fast etwas zu vertrauenerweckend leutselig.
Im Zentrum des Stücks allerdings steht der knapp sechzigjährige Rabanta, der wegen Totschlags an seiner Frau sieben Jahre im Knast gesessen hat. Akif hat ihm dann den Job als Viehfahrer besorgt. Doch Rabanta – bei Bernd Rademacher ein weichherziger, schicksalergebener Trucker – hat Krebs und zieht sich in seinen Einsamkeit zurück, bis ihm die wütende Susanne (Minna Wündrich) vor den LKW läuft. Die eigenwillige und durchsetzungsfähige junge Frau will Rache für den Tod von Andrei. Sie zieht bei Rabanta ein und öffnet ihm die Augen über Akif. Er hilft ihr dann beim Abschlachten des Iraners, sie ihm beim Sterben. Nussbaumeder interessiert sich in seinem Stück weit mehr für Rabanta als für den Wanderarbeiter, dessen Bildungseinsprengsel und Aufstandsbegehren ironisch durchwirkt sind. Natürlich lassen sich darin, wie auch in den vernutzten Sprachbildern („In mir wächst ein böses Tier, der Krebs“), Horvàth‘sche Verfahren erkennen, doch das hilft der Wirkung des Abends nicht auf. Robert Schusters Inszenierung setzt das Stück noch zusätzlich unter Strom. Er lässt mit viel Emphase spielen, lässt schwarz gekleidete Statisten pantomimisch mit Schweinehaut und –kopf auftreten und projiziert Videobilder auf einen beweglichen Lamellenvorhang, durch den immer wieder zwei Fließbandtische und das auf Paletten aufgebaute Heim von Rabanta mit Kühlschrank, Sofa und Stehlampe hereinrollen (Ausstattung: Sascha Gross). Diese bühnentechnisch übersetzte Mobilität der Wanderarbeiter gerät hier aber zur leeren Mechanik. Der Stadttheaterapparat fährt auf, was er so zu bieten hat, doch mehr als ein weitgehend seelen- und emotionsloser Abend, den einige Zuschauer sogar noch vor dem Ende verlassen, kommt nicht dabei heraus.