Jochen Fahr, Jonas Steglich, Jennifer Sabel, Astrid Meyerfeldt und Marko Dyrlich in „Arturo Ui“

Kein Treppenwitz

Bertolt Brecht: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui

Theater:Mecklenburgisches Staatstheater, Premiere:20.09.2024Regie:Martin Nimz

Am Mecklenburgischen Staatstheater inszeniert Martin Nimz „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Die Inszenierung verdeutlicht die Gültigkeit von Brechts Hitler-Parabel und differenziert zugleich in Astrid Meyerfeldts Spiel der Hauptfigur das Bild des Schurken.

Als der Premierenapplaus langsam verebt, meldet sich der Schauspieler Jochen Fahr, der den Geschäftsmann Clark gespielt hatte, zu Wort. Mit einer Anmerkung des Ensembles zur aktuellen politischen Situation? Er rezitiert den knappen Epilog Brechts zum Stück, der endet: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Und damit ist fast alles gesagt zur Aktualität von „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“.

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Von 1941 bis 2024

In dieser Parabel auf den verbrecherischen Politiker Adolf Hitler spielt Brecht (im Jahr 1941) am Exempel des Chicagoer Kleinkriminellen Arturo Ui die Funktionsweise mafiös-faschistischer Herrschaft und ihre Verbundenheit mit kapitalistischer Gier durch. Natürlich vereinfacht das Stück, das zu Brechts Lebzeiten noch nicht gespielt wurde, aber längst zu seinen wirkungsvollsten Theaterwerken zählt, die Entwicklung zum Faschismus. Doch beschreibt es in dieser Beschränkung die Mechanismen sehr genau, die zur Zerstörung von Demokratie führen. Und damit ist es zwei Tage vor der Landtagswahl im benachbarten Brandenburg am Mecklenburgischen Staatstheater ein hochaktuelles Werk.

Die Inszenierung von Martin Nimz findet in der attraktiven Außenspielstätte, der M*Halle statt, da, wo Schweriner Chic in Plattenbauten übergeht, in der ehemaligen Druckerei der Schweriner Volkszeitung. Das Publikum sitzt, wo sonst gespielt wird, die Stufen der eigentlichen Zuschauertribüne sind die Spielfläche (Bühne: Sonia Hilpert). Sie ist wie die Kostüme (Hildegard Altmeyer) schlicht schwarz-weiß gehalten. Alle außer Ui haben ihren Namen plakativ aufs schwarze Hemd geschrieben.

Die Regie setzt mit der klug verschlankten Textfassung (Dramaturgie: Nina Steinhilber) auf die Figuren in einem Treppenraum, in dem es nur nach oben oder unten geht. Hier wird kein Chicago-Charme versprüht und nur vereinzelt – dann aber gleichsam organisch – ein Einwurf aus dem Deutschland des Jahres 2024 eingestreut: „Armes Deutschland“.

Gewalt im Gemüsehandel

Nur in der ersten Szene wirkt die Exposition der Gemüsehändler noch etwas hölzern, bald nimmt das groteske, knapp drei Stunden dauernde Spiel Fahrt auf. Ausgerechnet im Blumenkohlhandel bieten erst Ernesto Roma (Marko Dyrlich) und später Arturo Ui (Astrid Meyerfeldt) Schutz vor Gewalt an, die sie selbst in den Gemüsehandel erst einführen. „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ erweist sich in Schwerin als Studie von Lüge und sprachlicher Verniedlichung, von Drohung und Ablenkung, von Täter-Opfer-Umkehr, vom Ende einer freien Gesellschaft. Das Groteske des Versdramas über mafiöse Grünzeughändler gerät dabei in den Hintergrund.

Mit der Gestaltung der Titelfigur jedoch geht die Inszenierung über die einfache Parabel hinaus. Nicht nur farblich sticht Astrid Meyerfeldt, in weiß, aus dem starken, vierzehnköpfigen Ensemble heraus. Sie zeigt keinen geborenen „Gangster“; das neue Ensemblemitglied des Staatstheaters entschlüpft zu Beginn im weißen Kleid dem Schoß der Sängerin Martha-Luis Urbanek und wird erst allmählich von Roma für ihre Rolle im Machtkampf auf der Treppe vorbereitet. So ist denn der Schauspielunterricht für den angehenden Politiker Ui – in Martin Wuttkes grotesker Darstellung in der BE-Inszenierung von 1995 legendär – hier eher eine Einweisung einer Kaspar Hauser-Gestalt in die Welt der Menschen und Gangster. Entsprechend nüchtern übernimmt Trustmitglied Clark (Jochen Fahr) die Lehrstunde in wirkungsvollem Gehen, Stehen, Sitzen und Sprechen.

Arturo Ui aus fruchtbarem Schoß

Anfangs bringt diese Ui nur lallende Laute zuwege, bald beherrscht sie die verlogene Sprache der Macht, bleibt dabei immer unsicher. Meyerfeldt zeigt grandios, wie aus Unsicherheit und Unbehaustheit ein rücksichtsloses Agieren mit teils schneidender, teils schmeichelnder Rede werden kann. Kaltblütig lässt sie ihren fast mütterlichen „Leutnant“ Roma beseitigen.

Somit erfährt die überdeutliche Fabel des Stücks in dieser differenzierten Darstellung einen neuen Aspekt – der an der zentralen Botschaft nichts ändert. Nicht nur zeigt die Inszenierung den verseuchten, noch vorhandenen Schoß. Sie illustriert in Astrid Meyerfeldts Spiel auch, dass das aus dem Schoß Entschlüpfte als Wesen durchaus ambivalent sein kann. An seiner Brutalität und zerstörerischen Wirkung für die Gemeinschaft ändert das nichts, solange eine Treppe unser einziger Spielraum bleibt.