Foto: von links hinten: Josef Ostendorf, Michael Weber, Bastian Reiber, Bettina Stucky, Yorck Dippe vorne: Jonas Hien, Ruth Rosenfeld, Hubertus Wild © Thomas Aurin
Text:Detlev Baur, am 29. Mai 2017
Herbert Fritsch inszeniert am Deutschen Schauspielhaus Hamburg „Valentin“ von Karl Valentin.
War Karl Valentin ein früher Comedian, ein Musikkomiker, Schallplattenaufnehmer, Filmproduzent oder ob seiner Reisephobie ein verhinderter Hollywoodstar? All diese Fragen interessierten Regisseur Werner Fritsch und Komponist Michael Wertmüller für ihre „Valentin“-Oper am Deutschen Schauspielhaus nicht. Auch spielte die Differenz zwischen norddeutschem Witz und bayerischem Humor bei dieser Uraufführung keine Rolle. Vielmehr geht es ihnen um die Grenzen der Sprache bei Valentin; der Münchner Komiker lässt unser Reden in seinen Sketchen immer wieder zwischen Tiefsinn und Unsinn an seine Verständigungsgrenzen kommen. Dabei werden etwa im „Aquarium“ einfache Beschreibungen wie „Ich wohne in der Sendlinger Straße“ zum Problem, weil strenggenommen kein Mensch in einer Straße wohnt. „Valentin“ ist also eine urmenschliche Sprachproblemoper.
Auf der großen Bühne des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg spielen neun Schauspieler bzw. Sänger sowie 14 Musiker (Elektro-Orgel, Schlagzeug, Bass sowie Trompeten, Posaunen und Saxophone) eine Revue voll scharfer Rhythmen und Paukenschläge in Endlosschleifen, in denen sich die Darsteller in ihrem Sprechen verheddern. Das führt beim extra lang ausgedehnten Aufrufen anwesender Schülerpersonen durch Josef Ostendorfs aufreizend freundlich-resoluter Lehr-Tante zu vereinzelten Abgängen Hamburger Honoratioren. Auch dauert es eine gute Weile bis der sich aufplusternde Schlaumeier von Yorck Dippe gegenüber der Lehrkraft Bettina Stucky die Definition des Fremden auf die – sinnlose – Reihe kriegt. Von Anfang an geben sich die Figuren als verunsicherte Rampensäue. Die jazzig-reuveartigen Big-Band-Töne unterstreichen Dummheit und Falschheit – auch sie steht im Zentrum einer Nummer von der falschen Lage eines Babys im Mutterleib bis zum Falschspieler, der dann Falschirmspringer wird. Am Ende wird „Valentin“ opernhafter und dann kommen die schließlich zwischen den Soffitten schwebenden Sänger Ruth Rosenfeld und Hubert Wild stärker ins Spiel; allerdings sind die Gesangstexte kaum noch zu verstehen.
Der relativ klare Vortrag des „Aquariums“ durch Jonas Hien und Bastian Reiber ist in diesem etwas überinstrumentierten Sprachspielabend ein Höhepunkt, weil Valentins schräges Denken endlich sehr deutlich wird. Andererseits lässt die musikalische Höllennummer mit Dominik Blum an der Orgel, Lucas Niggli am Schlagzeug und Marino Pliakas am Bass das lustvolle Abgleiten in den Wahnsinn einmal auch auf der musikalischen Seite aufblitzen, Gala Othero Winter verbindet auf Seiten der Darsteller Sprechen, Singen und Quietschen am Eindrucksvollsten. Die richtige Erkenntnis, dass Valentins Sprache ins musikalische Stottern übergeht, führt insgesamt aber dazu, dass die Sprachkraft oder -begrenztheit im breiten Spiel oft untergeht. Fritsch zeigt viel Theater; teilweise tragen die Akteure Anzüge aus Paketpapier (Kostüme: Bettina Helmi), die (rhythmisch) intensiv bewegten Soffitten und Seitenwände aus demselben Stoff bieten zwischen Perspektivbühne und Kasperletheater zahlreiche Spielflächen (Bühne: Herbert Fritsch). „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ begann der Abend im Sprechkanon. Vielleicht wäre weniger Arbeit für einen erhellenden Valentin-Abend noch besser gewesen.