Wie Neuenfels nun anhand des neu gedichteten Stücks in die Abgründe der Liebe und des Eros hineinleuchtet, das ist schlicht phänomenal. Mit seinem kongenialen Bühnenbild-Partner Reinhard von der Thannen zeigt er keine liebliche Garten-Idylle, sondern eine dunkle, aus seltsamen, anthrazitfarben schimmernden Raumkörpern, schwarzen Vorhängen und barocken Vanitas-Visionen geformte Rätselwelt. In dieses Setting hinein setzt Neuenfels mal tiefenpsychologisch dichte, mal spielerisch leichte Szenen, die die verwirrenden Liebeskonstellationen aus Mozarts Vorlage schlaglichtartig umkreisen. Der von seinem Eros überwältigte Podestà etwa – wunderbar lebendig gesungen und dargestellt von Stephan Rügamer – wird, während er in seiner Arie unschuldig von süßem Flöten- und Oboenzauber schwärmt, von in Phalloi auslaufenden Blasinstrumenten bedrängt. Die fabelhaft mutig die hohen Töne attackierende Alex Penda zerkleinert als rachsüchtige Arminda punktgenau zur Musik Orangen und Möhren, die vorher aus den Boxer-Shorts der Komparserie zutage gefördert wurden. Und immer wieder weisen Todessymbole – wie ein über den Häuptern der Liebenden kreisender Geier – auf die dem Eros innewohnende Untergangssucht hin.
Am weitesten kommt Neuenfels dort, wo er Liebe als existentiell ungeschützte Begegnung zeigt, die vom mörderischen Kampf fast nicht zu unterscheiden ist. In einem stummen Vorspiel während der Ouvertüre endet harmloses Getändel zweimal in Gewaltakten – die Vorgeschichte von Mozarts Oper, in der die Gräfin Violante von ihrem Liebhaber Belfiore (Joel Prieto) lebensgefährlich verletzt wurde, wird hier ganz ernst genommen. Wie ist Liebeserneuerung nach einer solchen Tat möglich? Neuenfels schickt seine mit großer expressiver Intensität agierende Protagonistin Annette Dasch in schwarze Seeleninnenräume, in die sich die anderen Figuren nur mit schützenden Plexiglas-Schildern vor ihren Körpern hineinwagen. Als der Plexiglas-Panzer ihres Geliebten fällt, vermögen die beiden ihren Eros, ihre Liebe, ihren Hass – was eigentlich? – nicht zu kanalisieren: Sie erstechen sich gegenseitig. In einem utopischen Moment entsteigen sie am Ende gläsernen Schneewittchen-Särgen, um zwischen Projektionen von Sonne und Mond hindurch in einem verheißungsvollen Lichttunnel zu verschwinden.
Der abgeklärt hergeschenkte Bilderreichtum dieser Inszenierung wird sich vielleicht erst bei weiteren Begegnungen vollends offenbaren. Erfreulich indes, dass auch die musikalische Seite jederzeit standhält: Keine Rolle wird schematisch gestaltet, man vernimmt individuellen, sprechenden Mozart-Gesang mit leichten Schwächen, aber aus vollen Herzen. Und die Staatskapelle unter Christopher Moulds beweist mit ihrer quirligen und ungemein frischen Darstellung, wie sehr die historisch informierte Aufführungspraxis mittlerweile im traditionellen Opernbetrieb angekommen ist.