Foto: Ohne Zauberschloss: Nina Stemme (Kundry) und Wolfgang Koch (Klingsor) im Bühnenbild von Georg Baselitz © Wilfried Hösl
Text:Klaus Kalchschmid, am 29. Juni 2018
Nicht nur Kirill Petrenko zaubert in der starken „Parsifal“ – Produktion der Münchner Opernfestspiele
Schon zu Beginn ist der Wald im Gebiet des Grals verkohlt wie nach einer Atomkatastrophe. Am Ende steht er auf magische Weise Kopf, silbriges Licht durchdringt ihn wie von Geisterhand erzeugt, bis zur hier ausbleibenden Verwandlung in den Gralstempel der ganze Bühnenboden sich im Hintergrund senkt, während Gurnemanz, Parsifal und Kundry in der Tiefe verschwinden, aus der später Amfortas und die Gralsritter geheimnisvoll auftauchen.
Wer Bedenken hatte, dass ein Künstler wie Georg Baselitz selbstverliebt ein eigenwilliges Konzept Wagners „Bühnenweihfestspiel“ aufstülpen würde, musste selbst im zweiten Aufzug eingestehen, dass die auf Leinwand gemalte stilisierte weiße Mauer eine optisch klare Setzung ist, die sich hier als Begrenzung des Zaubergartens aufbaut, bevor sie am Ende wieder in sich zusammensinkt. Zuvor agierten Klingsor und Kundry vor einem Portalvorhang, auf dem kopfstehende nackten Frauen zu sehen sind. Es gibt also kein Zauberschloss. Daran haben sich etliche Premierenbesucher, die am Ende heftig buhten, wohl weniger gestoßen als an der symbolischen, mit breitem Pinsel gemalten hässlich animalischen Nacktheit der prägnant stimmgewaltigen Gralsritter, als Stimmen aus der Höhe „Nehmt hin meinen Leib“ singen, und an derselben der Blumenmädchen, die aussehen wie alte Frauen mit Hängebusen und –hintern und so optisch – wenn auch keineswegs musikalisch – jegliche erotische Ausstrahlung vermissen lassen.
Oder vermissten die Wagnerianer etwa Speer und Gral? Ersterer ist spindeldürr und kreuzförmig, als wär’s ein Degen, letzterer befindet sich offensichtlich in jedem einzelnen der Gralsgemeinschaft – und in uns. Das deutet sich im ersten Aufzug mit vor die Augen gehaltenen Händen an und wird in der Karfreitagsaue mit derselben Geste zelebriert. Am Ende führen die Gralsritter und Parsifal den intimen Ritus noch einmal aus, wenn dieser singt: „Öffnet den Schrein“. Es gibt sogar die Andeutung einer weißen Taube, die laut Libretto aus der Kuppel herabschwebt und über Parsifals Haupt verweilt: ein riesiger weißer Klecks auf einem durchsichtigen Gazevorhang leuchtet beim „hellsten Erglühen des Grals“ üppig auf.
Dass Pierre Audi in diesen dominanten Räumen immer wieder eine überzeugende Personenführung gelingt, überrascht. Am wenigsten funktioniert das bei den Blumenmädchen, am besten im dritten Aufzug, wenn der Regisseur, der sich sonst wenig kümmert um das, was in den Szenenanweisungen steht, tatsächlich zeigt, wie Kundry „anders schreitet als sonst“. Nina Stemme setzt dies mit der Bühnenpräsenz und Konzentration einer großen Tragödin um. Jonas Kaufmann mutet Audi zu, barfuß, aber in voller Ritterrüstung, die er nur in Zeitlupe ablegen kann, eine halbe Stunde lang langsam wie in äußerster Ermüdung zu agieren.
In diesem dritten Aufzug wird auch musikalisch aus einer sehr guten eine – vor allem im Orchester – herausragende Aufführung. Wie Kirill Petrenko da die Verläufe glasklar zwingend gestaltet, die Blechbläser noch in größter Lautstärke sich runden und der Klang prachtvoll ins Nationaltheater flutet; wie aber auch immer wieder im zartesten Pianissimo musiziert wird oder scharfes Fortissimo sofort in weiches Piano zurückgenommen wird – etwas, das die Partitur sehr oft fordert; wie am Ende nur noch die Musik beglückend dominiert und verzaubert. Das hat eine große magische Kraft, wie man sie eigentlich nur aus den besten Aufführungen im Bayreuther Festspielhaus kennt, für dessen verdeckten Orchestergraben mit seiner besonderen Akustik Wagner sein „Weltabschiedswerk“ ja komponiert hat.
München kann allerdings auch mit den besten Sängerdarstellern aufwarten. Wenn René Pape als Gurnemanz eine Stunde lang die Vorgeschichte ausbreitet, ist man dank seiner ebenso natürlichen wie nachdrücklichen Intonation und seines schönen, weich fließenden und doch prägnant artikulierenden Basses so aufmerksam, als erzählte einem der Papa abends am Bett die allerspannendsten Märchen. Christian Gerhaher suhlt sich nicht im Leidenspathos des siechen Gralskönig Amfortas, sondern treibt es so auf die Spitze, ins Beinahe-Sprechen und – am Stock gehend – in die expressionistisch aufgeladene Gestik, dass es beinahe die Karikatur streift. Eine solche Wirkung kann auch Nina Stemme im zweiten Aufzug nicht immer vermeiden, denn ihre beeindruckend leuchtend hochdramatischen Töne wollen manchmal so gar nicht zu lockender Verführung oder später zur Zerknirschung passen, vielmehr sieht und hört man Stolz und Demütigung einer Götterdämmerungs-Brünnhilde, die Stemme ja auch bald wieder in München verkörpern wird. Leider muss Wolfgang Koch als abtrünniger Gralsritter Klingsor, der sich selbst kastriert hat, wie der böse Onkel aus dem Märchen aussehen und klingt auch so.
Bleibt – last but not least – Jonas Kaufmann als Parsifal. Er hat die Partie seit geraumer Zeit im Repertoire und vermag noch immer, trotz durchweg baritonal gefärbtem Stimmklang, Naivität im ersten, Verführbarkeit und leidenschaftliche Erkenntnis im zweiten und die Läuterung im dritten Aufzug stimmlich und darstellerisch ganz auszufüllen. Und weil Schwarz alles dominieren sollte, hat Kostümbildnerin Florence von Gerkan nach der Klavierhauptprobe, von der die Fotos im Programmheft stammen, die orange-beige Lederhose samt entsprechender Weste des Toren noch in eine Art Brustpanzer über schwarzem Hemd und Hose geändert und auch Kundry im zweiten Aufzug ganz in Schwarz getaucht. Schade!