Foto: Südstaaten-Flair im Schauspiel Leipzig © Rolf Arnold
Text:Detlev Baur, am 7. April 2019
Im Südstaatendrama „Süßer Vogel Jugend“ steht die Brutalität und Verlogenheit rassistischer Weißer im Mittelpunkt. Die Oberschicht einer Provinzstadt wird vom Autor melodramatisch demaskiert: Der verlorene Sohn Chance Wayne kehrt hierher zurück; er wollte Film-Star werden, hat es aber nur geschafft eine abgehalfterte Filmdiva mitzuschleppen. Das ist alles ziemlich dick aufgetragen, die Namen sprechen deutlich für sich (Chances Jugendliebe, zugleich Tochter des „Bosses“ am Ort trägt den schönen Vornamen Heavenly). Kein Wunder, dass Frank Castorf das Meldodram vor Jahren als Ausgangspunkt für eine Inszenierung wählte, die aber so weit vom Autor wegführte, dass er sie umbenennen musste.
Claudia Bauer beginnt nun ihre zweistündige Interpretation mit einer atmosphärisch dichten Zusammenfassung wichtiger Statements, die per Live-Kamera von der schmuddelig-leeren Bühne (Andreas Auerbach) auf fünf Kugeln als Livefilmprojektionsplaneten (Video: Kai Schaderberg, Doreen Schuster) geworfen werden. Neben Plastikstühlen steht nur ein Flügel auf der Bühne, mit Brian Völker als Horrorclown-Pianist (und später als Barkeeper in der Rolle des Möchtegern-Nachfolgers von Chance). Mit hoher Stimme quetscht er „Forever Young“ ins Mikrofon – und die Drehbühne dreht sich im Kreis. Die ausführlichen Regieanweisungen im Stück zu den Schauplätzen im Hotel und in der Villa des weißen Häuptlings vor Ort werden teilweise von den Figuren übernommen, wodurch eine schöne epische Distanzierung und zugleich eine Einführung in den zunächst einmal eher fernliegenden Schauplatz entsteht.
Farbige tauchen in dem Stück nur am Rande auf: als Hotelboy Fly und als Diener Charles. In Claudia Bauers Leipziger Inszenierung werden diese beiden Befehlsempfänger vom gespensterweiß geschminkten Andreas Dyszewski gespielt, nicht als unterdrückte Diener, sondern als Propheten des weißen Untergangs. Das ist nicht nur ein politisch ziemlich korrekte Lösung, sondern überzeugt auch darstellerisch und fügt sich hervorragend ins Gesamtkonzept der Inszenierung.
Die Darstellung der weißen „Oberschicht“ hingegen gerät ziemlich eindimensional. Der Arzt George Scudder ist bei Thomas Braungardt ganz der farblose „Ausputzer“ des Patriarchen „Boss Tom Finley“. Der erscheint in Michael Pempelforths Darstellung als total eindimensionaler böser weißer Mann: fett, mit Cowboyhut und arg bräunlichem Hemd. Schon in Williams‘ Text lässt sich wenig Verständnis für die primitiv-ängstliche Elite erkennen, aber immerhin entsteht da noch Spannung daraus, dass die Fratze der „Kannibalen“ im Lauf des Dramas heruntergerissen wird. In der Leipziger Inszenierung gibt es von Anfang an nur dumpfe Männer (Roman Kanonik ist der dümmlich-dreiste Sohn) und zerstörte Frauen: die verzitterte Tante (Annett Sawallisch), die nur oberflächlich mitfühlende Miss Lucie (Sophie Hottinger) oder die zombiehafte Ex-Barbie Heavenly (Julia Preuss). Konsequenterweise agieren diese wenig differenziert gestalteten Figuren gegen Ende als bedrohlicher Chor. Insgesamt macht es sich die Inszenierung hier etwas leicht, sie zeigt besonders die weißen alten Männer wenig differenziert.
Wesentlich liebevoller scheinen die beiden Hauptfiguren in Szene gesetzt: Florian Steffens spielt Chance Wayne als jungen Mann am Ende seines Lateins. Auf der schmutzig leeren Vorderbühne mit Plastikstühlen und einem Flügel hat er seine beeindruckendste Szene kurz vor Schluss, wenn er sich auf dem Instrument als Bühne bis auf die Unterhose entblößt hat – in jeder Beziehung. Was ihn mit den anderen Provinzlern verbindet, ist lediglich die tolle Haartolle. Mit Anita Vulesica liefert er sich von Beginn an ein intensives Duell zweier verletzlicher Bestien; dabei ist Vulesica als Alexandra del Largo keine verhuschte Drogenabhägige, sondern eine zwar irritierte, aber auch starke Frau. Sie ist das eigentliche Zentrum der Inszenierung, bei ihr wird aus der Schmonzette ein berührend-komisches Endspiel. Schminktische im Hintergrund der sonst eher leeren Bühne dienen als Rückzugsort und machen deutlich: Hier spielen ohnehin alle Theater, doch immerhin macht sich die professionelle Schauspielerin Gedanken über ihre Rolle(n) – und dann wird sie doch immer wieder wie eine Motte zum Scheinwerfer am Rand der Bühne gelockt.