Foto: Überzeugendes Schauspielerinnen-Ensemble: hier Marie-Joelle Blazejewski (Elke), Swana Rode (Hanna) und Lisa Schlegel (Beate). © Thorsten Wulff
Text:Volker Oesterreich, am 1. Dezember 2019
Sie hat sich „müde und wund gearbeitet“, die Gynäkologin Beate. Seit dreißig Jahren ackert sie in einer Frauenarztpraxis irgendwo in der Provinz. Dort ist die vom Geist der Alt-68er geprägte Kämpfernatur die einzige Medizinerin, die Verständnis zeigt für werdende Mütter, die in emotionale, partnerschaftliche oder pekuniäre Not geraten sind. Bei ihnen führt sie Schwangerschaftsabbrüche durch, sofern sie es wollen. Maximal bis zur zwölften Woche, da hält sich Beate strikt an die gesetzlichen Vorgaben. Mit gutem Grund, denn sie will sich nicht angreifbar machen in dem Kaff, in dem ihre Arbeit höchst umstritten ist. Doch nun möchte Beate ihre Praxis einer jungen Kollegin abtreten – und damit beginnt der ganze Schlamassel in Lutz Hübners und Sarah Nemitz‘ geschickt gebautem Dreiakter „Frauensache“, geschrieben als Auftragsarbeit für das Badische Staatstheater Karlsruhe, wo es jetzt unter der Regie von Alexandra Liedtke uraufgeführt wurde.
Hübner gehört mit gutem Grund zu den Quotenkönigen der zeitgenössischen Dramatik. Seit einiger Zeit schreibt er seine Stücke zusammen mit Sarah Nemitz. Die Rollenprofile des Autorengespanns sind klar konturiert, die Plots mal komödiantisch, mal spannungsreich oder – wie in diesem Falle – gesellschaftlich ganz zugespitzt auf die Höhe der Zeit. Es fehlt weder an überraschenden Wendungen noch an zitierfähigen Bonmots. Wie Yasmina Reza oder Ferdinand von Schirach kultivieren die beiden die auf unseren Bühnen an den Rand gedrängte Dramaturgie des well-made plays.
Sechs Frauen prägen die „Frauensache“, ihre Männer oder (Geschäfts-)Partner sind nur in ihren Gesprächen präsent. So will Beate (Lisa Schlegel) ihre Praxis vor allem deshalb aufgeben, weil ihr Mann an einer schweren Krankheit leidet. Mit ihm wolle sie noch ein gemeinsames Alter erleben, sagt sie gleich zu Beginn. Deshalb ist sie so froh, dass die jung-dynamische Hanna Sievers ihre Praxis übernehmen will. Swana Rode spielt die Nachfolgerin in spe zunächst wie einen sympathischen Sonnenschein, doch im bald beginnenden Pro und Contra über das Thema Schwangerschaftsabbruch und den Rechtspopulismus wandelt sie sich zu einer schrillen Alice-Weidel-Karikatur. So knallt es aufeinander, das neuerdings geschmähte links-liberale Establishment, für das Beate steht, und die völkisch-rassistisch orientierte Szene der Nazi-Hippster, denen Hanna ein Gesicht gibt. Die junge Ärztin lebt in einer bräunlichen Kameradschaft auf einem Ökohof und agitiert mit subtilen Hassbotschaften in ihrer Blog-Community. Hanna sieht ihre Aufgabe darin, das ungeborene Leben unbedingt zu retten und Abtreibungen auf alle Fälle zu verhindern. Beate gerät deshalb in ihrer Provinz-Praxis in den „vordersten Schützengraben“.
In Alexandra Liedtkes Inszenierung sieht der Schützengraben des Verbalgefechts aus wie ein halbrundes, gestaffeltes Stufen-Auditorium, das die Architektur des Kleinen Hauses in Karlsruhe en miniature zu spiegeln scheint. Simeon Meier hat dieses Bühnenbild entworfen, auf ihm lässt sich das Oben und Unten des argumentativen Machtgefüges ganz klar zeigen. Vor allem in der Schlüsselszene einer Podiumsdiskussion, während der Beate so extrem vorgeführt wird, dass sie von einer „Hinrichtung“ spricht.
Gegen ihre Sprechstundenhilfe Mira (Sarah Sandeh) richten sich die üblen Ressentiments der Rassisten, denen die vor Krieg und Folter geflohene syrische Migrantin mit scharfen Worten begegnet. Sie kennt die westlichen Grundwerte einfach besser als die braunen Nationalisten. Zum Darstellerinnen-Sextett gehören noch Claudia Hübschmann als Amtsleiterin aus dem Rathaus, Ute Baggeröhr als rechtspopulistische Kommunalpolitikerin mit bürgerlicher Fassade und Marie-Joelle Blazejewski in der Rolle der ungewollt schwanger gewordenen Elke. Alle zusammen führen äußerst geschickt vor Augen, wie stark der Riss schon geworden ist, der durch unsere Gesellschaft geht. Sie war eben schon immer besonders höllisch, die Provinz. Das weiß man spätestens seit den mörderischen Umtrieben in Güllen, dem gemeingefährlichen Hotspot aus Friedrich Dürrenmatts Gesellschaftssatire „Besuch der alten Dame“.
Man mag dem Autorenduo Hübner/Nemitz zwar eine gewisse holzschnittartige Zuspitzung ohne differenzierende Zwischentöne vorwerfen, andererseits gewinnt ihre „Frauensache“ gerade dadurch so viel Kraft. Das Stück dürfte noch vielerorts nachgespielt werden. Auch eine Verfilmung ist nicht ausgeschlossen.