Foto: Wie geht der Osten? Und wie der Westen? Ost-West-Begegnung im neuen Stück von Sh She Pop. © Benjamin Krieg
Text:Hartmut Krug, am 9. März 2012
Sechs Frauen um die vierzig aus zwei Gesellschaftssystemen: da gibt es viel zu erzählen über Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Das (West)Berliner Performance-Kollektiv _She She Pop_ hat sich mit in der DDR aufgewachsenen Frauen zu einem biographischen Untersuchungsabend zusammengetan. Jeweils drei Frauen aus dem Westen und drei aus dem Osten sitzen einander an Tischen vor der Diaprojektion eines Verhandlungssaales gegenüber. In Handwagen steckt ihr Erinnerungsmaterial: Schallplatten, Bücher, Fotos, Briefe und Tagebücher. Zwischen Stuttgart und Rostock, Magdeburg und Hamburg springen die Erinnerungen, und jede darf ihr Gegenüber mit einem „Stopp“ unterbrechen. Begriffe oder Denkweisen müssen auf Wunsch erklärt werden: Messe der Meister von Morgen, Kapitalist, Dividende, Pazifist, Brigadeführer. Wobei an Erklärungen weniger Sorgfalt verwendet wird als an die mit Aplomb servierte Komik, mit der unbekannte oder unreflektiert benutzte Begriffe vorgeführt werden.
Der Abend surft durch die Unterschiede zweier ideologischer Erklärsysteme und entdeckt in ihnen auch Gemeinsamkeiten. So, wenn das Neidlied aus Reinhard Lakomys „Traumzauberbaum“ Sozialismus und Kapitalismus verklärend erklärt, während die Titelmelodien von Fernsehserien einer westlichen Fernsehjunkie ein anders verzerrtes Realitätsbild liefern. Oder wenn in ostsozialisierter Erinnerung ein graues Foto mit einer Schlange vor einem Arbeitsamt für den Westen steht, während der Westlerin ein graues Foto mit einer Schlange vor einer Kaufhalle den Osten erklärt. Nur bei Kati Witt finden sich Begeisterte aus beiden Sozialisationen zusammen. In einer der wenigen theatralen Aktionen dieses Erzählabends tanzen sie Katis Calgary-Kür von 1988 auf ihren Drehstühlen nach.
Es geht durch Zeiten und Themen. Erziehung zu Hause oder im Kindergarten, Flasche oder Muttermilch, hochheben oder schreien lassen. Erste Liebe, erste Westerfahrung nach dem Mauerfall. Die eine breitet ihre feministische Jugendlektüre aus, die andere verblüfft ihre Informationspartnerin aus dem Westen mit Berichten über jugendliche Sexualerkundungen. In den biographischen Erinnerungen tummeln sich die Klischees, die der Theaterabend nicht untersucht, sondern ausstellt. Da redet eine Ostfrau zunächst russisch, während eine Westfrau für ihr Gegenüber jeden englischen Songtext übersetzt. Natürlich benutzt eine Ostlerin so selbstverständlich wie hartnäckig nicht die weibliche Endung ihrer Berufsbezeichnung. Und bei Westpaketen wird eine enttäuschte Ost-Erinnerung gegen die West-Erinnerung eines großen Engagements gesetzt.
Die Fülle der Erinnerungen ergibt einen bunten Wohlfühlabend. Das Publikum wird mit sicher gesetzten Pointen bedient, aber nie mit Wundschmerzen konfrontiert oder mit analytischem Nachbohren gefordert. Man erfährt nur all das, was man schon immer gewusst zu haben glaubte. Der Abend bleibt stets harmlos, selbst wenn die Ostfrauen beim Wodka in Klischees über die Westlerinnen schwelgen. Leider hat er seine Kraft spätestens nach einem Drittel seiner zwei Aufführungsstunden aufgebraucht.