"Schwanengesang" am Deutschen Theater Göttingen

Schubert (nicht ganz) reloaded

nach Franz Schubert: Schwanengesang

Theater:Deutsches Theater Göttingen, Premiere:08.09.2018 (UA)Regie:Christian Friedel

Schwanengesang
Franz Schubert
DT Göttingen
Deutsches Theater Göttingen
Elisa Giesecke
Christian Friedel

Auf der Bühne des Deutschen Theaters in Göttingen tobt das (theatralische) Leben. Bilder rauschen beinahe im Sekundentakt vorbei, mal findet man sich im Vortrag eines Humangenetikers wieder, mal beim Familientreffen auf einem Häuserdach, dann tauchen skurril tänzelnde und fächelnde Figuren aus der Barockzeit auf, Projektionen von Querschnitten des menschlichen Gehirns durchzucken den Zuschauerraum, dazwischen immer wieder hämmerndes Getöse und wie ferngesteuerte Körper, die sich eingehüllt in Nebelschwaden am Boden wälzen. Was das alles mit dem Komponisten Franz Schubert zu tun hat? Zunächst einmal nichts, und dann doch wieder einiges.

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Schauspieler und Musiker Christian Friedel zeigt sich an diesem Abend zur Abwechslung wieder in seiner Rolle als Theaterregisseur. Nach „Antigone“ (ebenfalls in Göttingen) und seinem Konzertabend „Searching for William“, in dem er sich auf die Spuren von William Shakespeare begibt, widmet er sich in seiner neusten Arbeit dem zu Lebzeiten kaum beachteten Komponisten Franz Schubert, insbesondere dessen 13-teiligem, im Todesjahr 1828 entstandenen Liederzyklus „Schwanengesang“. Der früh verstorbene Künstler, der trotz seines jungen Alters ein erstaunlich umfassendes Werk hinterließ, war zeitlebens fasziniert von den großen existenziellen Fragen um Liebe, Schmerz, Einsamkeit und Tod. In seiner Göttinger Regiearbeit nähert sich Christian Friedel Schuberts Liedern und den komplexen Lebensfragen nun aus der Perspektive eines Humangenetikers, der, ausgehend von den neuesten Forschungsergebnissen, die menschliche Existenz hinterfragt: Wer sind wir? Ist unser Leben vom Schicksal oder von den Genen bestimmt und was bleibt, wenn wir gestorben sind?

Dass angesichts einer solch modernen, wissenschaftlichen Betrachtung dieser Themen kein klassischer Schubert-Abend zu erwarten ist, versteht sich von selbst. Vielmehr hat Friedel zusammen mit dem Bühnenbildner Alexander Wolf und der Kostümbildnerin Ellen Hofmann eine sechsteilige Bilderflut aus Schauspiel, Tanz und Musik geschaffen, die dem Leben zugewandter scheint als dem Tod – so bunt, so laut, so schrill kommt sie daher. Mit aller Fantasie und Macht (und mit allem, was die Technik des Göttinger Theaters zu bieten hat), so scheint es, soll das Morbide überwunden werden, sollen Verzweiflung, Krankheit und Einsamkeit aus dem Leben katapultiert werden. Schuberts sanfte, von einem wunderbaren Streichquartett gespielte Musik steht diesem Bilderrausch fast diametral gegenüber – meist wird sie jedoch (neu arrangiert von Christian Friedel und den Musikern seiner Band „Woods of Birnam“) in Elektrobeats bis zur Schmerzgrenze verzerrt. Das funktioniert einerseits, weil Schuberts Kompositionen durchaus dafür geeignet sind, verfremdet und mit Einflüssen aus der Popmusik neu gemixt zu werden. Andererseits lauscht man zeitweise mit einem gewissen Unbehagen der vermeintlichen Dekonstruktion seiner Musik. Hinnehmen mag man diese Momente nur, weil das klassische Ensemble in Zwischeneinlagen die Schubert-Klänge, die man fast wie eine Wohltat empfängt, immer wieder rein, klar und perlend in den Raum trägt.

Das Göttinger Ensemble ist stark gefordert in dieser Inszenierung. Sehr anspruchsvoll sind Schuberts Melodien; das ist den Gesangsstimmen der Schauspielerinnen und Schauspieler bisweilen deutlich anzumerken. Besser beweisen können sie sich in den tänzerischen Einlagen. Der katalonische Tänzer und Choreograf Valentí Rocamora i Torà studierte mit dem Ensemble Choreografien ein, mitunter so gut und von überzeugender Ausdruckskraft, dass es den Eindruck erweckt, es bewegten sich professionelle Tänzer auf der Bühne.

Christian Friedels Inszenierung sprengt ganz sicher die Erwartungen. Wer Schubert erwartet, wird Schubert irgendwie reloaded bekommen. Leider schafft der Abend es jedoch nicht, eine glaubhafte Nähe zwischen dem Leben und der Musik des Komponisten und den wissenschaftlichen Sachverhalten zu schaffen. Am Ende weiß man daher nicht so genau, was man eigentlich gesehen hat. Schubert jedenfalls nur bedingt.