Foto: "Apathisch fu?r Anfa?nger" am Staatstheater Braunschweig. Hans-Werner Leupelt, Oliver Simon, Mattias Schamberger, Ursula Hobmair © Volker Beinhorn
Text:Jens Fischer, am 13. September 2013
Fangen wir mal so an: tolles Stück! Der halbtunesische Halbschwede Jonas Hassen Khemiri hat eine sprachlich präzise, auf der Theateraffekt-Klaviatur ironisch spielende, auch bissig satirische, wirklich witzige und raffiniert vielschichtige dramatische Konstruktion geschaffen, um eine Reportage über Flüchtlingskinder als Bühnenkrimi herzurichten: Gesucht werden Mörder der Wahrheit, gefunden wird Hörensagen über eine Leiche. Wohin mit den Schuldzuweisungen? „Apathisch für Anfänger“ ist Reflexion über die Reflexion eines Ermittlers, der die Rolle der Medien, Behörden, Wissenschaft, Politik hinterfragt und die Folgen ihrer Verlautbarungen für die öffentliche Meinung untersucht. In einem Fall verwinkelter Vorwürfe und dürftiger Faktenlage. Seit 2002 wurden in Schweden bei 424 Flüchtlingskindern, deren Familien von Abschiebung bedroht waren, Symptome von Apathie diagnostiziert. Eine Tatsache mit Wirkungen. Khemiri argumentiert wie in seinem Stück „Invasion!“. Dort kreieren Migranten den Fantasiebegriff Abulkasem, den die Mehrheitsgesellschaft nicht verstehen, nicht übersetzen, also nicht einordnen und kontrollieren kann – und daher unruhig wird. Wie häufig bei der hilflosen Begegnung mit etwas Unbekanntem wird es zur Projektionsfläche ureigener Ängste. Bestimmt habe Abulkasem mit Terrorismus zu tun, heißt es bald. Genauso ist es mit den apathischen Kindern. Das seien Simulanten, die hätten sich vergiftet, wären von den Eltern unter Drogen gesetzt worden, ist zu hören. „Begreift ihr nicht, wozu diese Menschen imstande sind, nur um bleiben zu können? Sie sind verzweifelt“, sagt die Sachbearbeiterin. Das Stück fragt: Wann glaube ich warum eine Aussage? Und wie funktioniert Meinungsbildung in unserer entfesselten Desinformationsgesellschaft?
Khemiri zeigt, wie Annahmen, Vermutungen, Vorurteile schnell mal zu Medienmeldungen im Konjunktiv werden (Skandalisierung bringt Aufmerksamkeit) oder in Statements der Politiker einfließen, die für härtere Zuwanderungsgesetze eintreten. Bald verlieren Gerüchte den Konjunktiv oder den Makel, interessengeleitet manipulativ zu sein – und gewinnen an Wahrheitsaura. Nach dem Prinzip des Kinderspiels Stille Post erwachen auch bald ausländerfeiendliche Bemerkungen: Verweise auf ein latent rassistisches Klima. Auch Schweden ist nicht mehr das sozialdemokratische Musterland der 70er, 80er Jahre. An diese Zusammenhänge machte sich die junge Khemiri-Spezialistin Mina Salehpour. Mit Inszenierungen von „Invasion!“ (Staatstheater Hannover) und „Montecore, ein Tiger auf zwei Beinen“ (Staatstheater Braunschweig) hat sie bereits den gratwandernden Stil des Autors gemeistert, konnte den auf unprätentiöse Weise dokumentarisch fundierten Realismus und die farcenhaft zugespitzte Komödiantik ausbalancieren. Nun stürzt sie ab. Als Expeditionstrupp entern die Darsteller die Bühne, ein kafkaeskes Büro. Wir befinden uns im Kopf des Ermittlers/Journalisten. Aus seiner inneren Dialogstimme werden vier Spielpartner, die Rechercheergebnisse und individualgeschichtliche Flashbacks aus den Archivschubladen holen, und dabei chronisch schrillschraubig agieren, gern auch mal einen Schlagervortrag oder Furz addieren. Auf der Bühne wird deutlich mehr gelacht als im Publikum. Wenn dann eine Flüchtlingstragödie vorgestellt und die berichtende Person als „Schwein“ beschimpft wird, inszeniert Salehpour das als putziges Puppenspiel mit einer Art Miss-Piggy-Kuscheltier. Das ist nicht lustig, auch keine ins Absurde gewendete Karikatur der Behördensicht, für Aufenthaltsgenehmigungen mit immer grausameren Leidensberichten belogen zu werden. Das wirkt einfach nur zynisch. Themen und Stück ersticken in Theatermätzchen, die über das alberne Vorspielen geballter Klischees selten hinauskommen. „Das wird voll krass, wenn einer eine Theatervision daraus macht“, stand auf den Theaterplakaten. Ein Zitat aus dem Stück, zweifellos, aber dass damit die einzige Regieambition formuliert ist, war nicht vorhersehbar. Voll krass der Abend, krass lustig-langweilig bis ärgerlich. Und wo bleibt das Positive? Das daniederliegende Medium Programmheft wurde grundsolide reanimiert. Die Analyse des Stücks und der politischen Hintergründe, Verweise auf die deutsche Asyldebatte kommen vor, Autor, Regisseurin, Bühnen- und Kostümbildner erklären ihre Sicht der Dinge. So ist die Vorbereitung der Aufführung interessanter als diese selbst.