In einer stimmigen Sequenz präziser Bilder erzählt die erste Hälfte der Aufführung die Geschichte der Küchenmagd Grusche (überzeugend gutgläubig und naiv: Michaela Fent), die ein fremdes Kind mit ihrem eigenen Leben beschützt, nur weil es sie „anschaut wie ein Mensch“. Und wenn man schließlich als Zuschauer in die Pause geht, hat man das Gefühl: Auch ich werde hier als Mensch angeschaut, ich werde ernst genommen und im Gegenzug ist das, was auf der Bühne passiert, wert, auch von mir ernst genommen zu werden. Die zweite Hälfte des Abends, die der Geschichte des Dorfschreibers/Richters Azdak gewidmet ist, der am Ende über Grusche zu Gericht sitzen wird, schwankt zwischen Burleske und Satire, jedoch ohne der Gefahr nachzugeben, in die reine Karikatur abzugleiten, und ist im Vergleich mit dem ersten Teil des Stückes, fast collageartig, stärker von assoziativen Strukturen geprägt. Die Regie nützte dabei einmal mehr den gesamten Bühnenraum und versteht es, die hergestellten räumlichen Beziehungen dramaturgisch geschickt zu nutzen, unter anderem auch durch den vermehrten Einsatz einer auf der Bühne bedienten Videokamera, deren Bilder simultan auf mehreren neben und auf der Bühne platzierten Fernsehern gezeigt werden.
Was von dieser Theatererfahrung zurückbleibt, ist die erneuerte Überzeugung, dass es möglich ist, Stücke von Brecht zur Aufführung zu bringen – ohne dabei brechtischer sein zu wollen als der Mann selbst, und auf eine Art und Weise, die zeigt, dass diese Texte nach wie vor mit Gewinn gespielt werden können. Britta Schreiber ist mit ihrer Inszenierung des „Kaukasischen Kreidekreises“ in Memmingen eine ebenso behutsame wie intelligente „Aktualisierung“ eines längst kanonisierten Dramas gelungen, die gänzlich ohne Holzhammer auskommt, ohne den berühmten Wink mit dem Zaunpfahl, das mühselige Ausbuchstabieren aktueller Bezüge. Momente wie diese sind es, die einem in Erinnerung rufen, warum man dafür plädiert, dass sich möglichst jede Stadt auch ein Stadttheater leisten sollte.