Aber das ist ja ohnehin das Grundsatzproblem dieser Bilderbogen-Parabel – das Herunterkommen vom Sockel der Gewissheiten. In der neueren Rezeption dieses Brecht-Klassikers, wenn man nach der Ausbeutung der Vorlage an diversen Freilichtbühnen überhaupt davon reden kann, war die Titelrolle stets populärer als das ganze Werk. Sowohl bei den Interpreten wie auch (sowieso) bei den Zuschauern. Die unbeherrschbaren Missverständnisse vom eigentlich warmherzigen und jedenfalls immer pointensicher schlagfertigen „Muttertier“, das vorweggenommene Inge-Meysel-Syndrom, das dem Autor von Anfang an so großes Unbehagen bereitet hatte, freilich inbegriffen. In Werner Bauers Regie wird das nicht wirklich bewältigt, aber zumindest phasenweise aufgebrochen. Das Szenen-Karussell der realistischen Signale dreht sich um das wandelnde Überlebens-Phantom, das immer irgendwie als System weiter funktioniert. Michaela Domes ist nicht nur Mittelpunkt, sondern tatsächlich das Zentrum der Aufführung, eine Courage mit vielen Anführungszeichen. Wenn und wie sie, die zynisch clevere Geschäftsfrau und Kriegsgewinnlerin, in einer langen Szene die Wäsche für ihre Familie macht, mitten im Dauerzustand der Katastrophe zuverlässig funktionstüchtig Kante auf Kante faltet, ist das ein veritables Charakterporträt. Schrankfertig geht die Welt zugrunde. So sekundärtugendhaft spielt oder vielmehr zeigt sie die Figur fast durchweg – und man ist geneigt, die herzschmerzigen Soap-Töne, die sich gegen Ende der Aufführung irritierend einschleichen, für Inszenierungs-Unfälle zu halten.
Norbert Nagel (Klarinette, Klavier), der mit Verstärkung von Synthesizer und Violoncello die dissonanten Querschlag-Songs von Paul Dessau im Trio verarbeitet, reizt die vokalen Möglichkeiten der Schauspieler aus. Nicht jeder kann ihm dabei jederzeit folgen. Erst am Ende gibt der Musiker elastisch nach, lässt die gefällige Ohrwurm-Version gelten, wie sie Gisela May – LPs schmückt. Zuvor wirkt der so anspruchsvoll anspruchslose Klang manchmal, als ob die Aufführung in ihren musikalischen Aktionen nicht den polternden Zwischenruf als Querschläger wagen sondern ein Abheben in winzige Opern-Oasen erträumen will.
Respektabel allemal, wie das kleine Fürther Theater dieses „große“ Stück besetzen kann. Benedikt Zimmermann, Frerk Brockmeyer und Theresa Martini (die sterbenden Kinder der Mutter Courage) sind da besonders auffällig, auch Paul Kaiser (Koch) und Rainer Appel (Feldprediger). Der größte Premierenbeifall im ausverkauften Haus gehörte aber eindeutig Michaela Domes, die an gleicher Stelle einst die Martha in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ und in Nürnberg nebenan alles von Lady Macbeth bis Iphigenie war. Sie hat die problematisch gewordene Brecht-Figur, die da zwischen „Maiandacht und Maiennacht“ ihre auslaufende Lizenz zum Leben immer mit dem sardonischen Hinweis aufs „anständige Gesicht“ verlängert, nicht auf den Kopf gestellt, aber mit Köpfchen gespielt. Dafür gab es Bravo-Rufe.