Foto: "Mutter Courage und ihre Kinder" in Fürth - Ensembleszene © Thomas Langer
Text:Dieter Stoll, am 14. Januar 2018
Vorne an der Rampe schmettern einige der Opfer ihre Zwischenbilanz der trüben Erkenntnisse von Krieg und Frieden im Trümmer-Sound von Komponist Paul Dessau, so stramm aufrecht als hätten sie beinahe was dazu gelernt. Ganz hinten am Bühnen-Horizont schleppt derweil die einsam gewordene Titelheldin mit dem hartgewachsten Überlebensmodell im Auge des Taifuns, die ein paar Szenen lang sogar mit erkennbarem Herzschlag unterwegs war, nun ganz allein ihren Verkaufs-Wagen und krächzt den schon wieder in die Schlacht ziehenden Söldnern ihr Anpassungs-Credo „Nehmt mich mit!“ hinterher. Gebrochen oder im Aufbruch, wer könnte das in schnelllebigen Zeiten bestimmen. Ihre drei Kinder sind tot, die Illusion vom kleinen Glück an der Seite eines Mannes ist geplatzt, das Geschäft mit dem Unheil geht weiter. Das Finale von Werner Bauers Brecht-Inszenierung „Mutter Courage und ihre Kinder“ am Stadttheater Fürth ist von tiefschwarzem Pessimismus poetisch eingefärbt – die Kunst mag Bescheid wissen, die Realität rollt einfach weiter. „Der Frieden ist ausgebrochen“, hatte zuvor einer das unerwartete zeitweilige Ende von staatlich sanktioniertem Mord und Totschlag beklagt. Jetzt ist wieder „Ordnung“ angesagt, ganz nach Belieben im Namen Gottes oder für die Konjunktur: „Krieg ist nix als Geschäfte“.
Angefangen hatte die Aufführung als Entwurf eines Kunst-Stücks. Nicht zu weit entfernt vom Modell-Original (die Erben, man weiß ja!), aber doch um gewisse Distanz zu den Klischees bemüht. Die rotierende Bühne von Marlen Heydenaber besteht aus Stahlrohrgerüst und einem breiten Podest mit vielen Gesteinsbrocken unter doppelstöckigem Aufbau. Es gibt Auslauf und Fernblick. Die Halbgardine hat hier keinen Platz. Der berühmte Planwagen ist zum Camping-Kiosk mit Wohngelegenheit ausgebaut und rollt auf praktischen Gummireifen. Das handelnde, behandelte Personal lässt sich nicht auf den Dreißigjährigen Krieg festlegen, es stammt aus vielen Jahrhunderten. Die Kostümierung strebt ins Überzeitliche, man sieht neben dem ewigen Prediger-Talar auch Wehrmachtsuniformen, sogar eine Pickelhaube zur Unterhose auf dem Kopf des alten Obristen. Und wenn die stumme Kattrin vom Großhandels-Einkauf aus der Stadt kommt, schleppt sie bunte Supermarkt-Taschen. Gegenwart haben wir also auch. Alles umkreist die „Mutter Courage“, die Michaela Domes gleich mit ihrem ersten Song wie einen Pflock ins Theatergelände rammt. Sie singt mit Schnauze, fern von allen unterschwelligen Abfederungs-Gefühlen. Jeder Ton ist Spruchbandmaterial. Ein radikales Statement, von dem man dann erst mal wieder runterkommen muss.
Aber das ist ja ohnehin das Grundsatzproblem dieser Bilderbogen-Parabel – das Herunterkommen vom Sockel der Gewissheiten. In der neueren Rezeption dieses Brecht-Klassikers, wenn man nach der Ausbeutung der Vorlage an diversen Freilichtbühnen überhaupt davon reden kann, war die Titelrolle stets populärer als das ganze Werk. Sowohl bei den Interpreten wie auch (sowieso) bei den Zuschauern. Die unbeherrschbaren Missverständnisse vom eigentlich warmherzigen und jedenfalls immer pointensicher schlagfertigen „Muttertier“, das vorweggenommene Inge-Meysel-Syndrom, das dem Autor von Anfang an so großes Unbehagen bereitet hatte, freilich inbegriffen. In Werner Bauers Regie wird das nicht wirklich bewältigt, aber zumindest phasenweise aufgebrochen. Das Szenen-Karussell der realistischen Signale dreht sich um das wandelnde Überlebens-Phantom, das immer irgendwie als System weiter funktioniert. Michaela Domes ist nicht nur Mittelpunkt, sondern tatsächlich das Zentrum der Aufführung, eine Courage mit vielen Anführungszeichen. Wenn und wie sie, die zynisch clevere Geschäftsfrau und Kriegsgewinnlerin, in einer langen Szene die Wäsche für ihre Familie macht, mitten im Dauerzustand der Katastrophe zuverlässig funktionstüchtig Kante auf Kante faltet, ist das ein veritables Charakterporträt. Schrankfertig geht die Welt zugrunde. So sekundärtugendhaft spielt oder vielmehr zeigt sie die Figur fast durchweg – und man ist geneigt, die herzschmerzigen Soap-Töne, die sich gegen Ende der Aufführung irritierend einschleichen, für Inszenierungs-Unfälle zu halten.
Norbert Nagel (Klarinette, Klavier), der mit Verstärkung von Synthesizer und Violoncello die dissonanten Querschlag-Songs von Paul Dessau im Trio verarbeitet, reizt die vokalen Möglichkeiten der Schauspieler aus. Nicht jeder kann ihm dabei jederzeit folgen. Erst am Ende gibt der Musiker elastisch nach, lässt die gefällige Ohrwurm-Version gelten, wie sie Gisela May – LPs schmückt. Zuvor wirkt der so anspruchsvoll anspruchslose Klang manchmal, als ob die Aufführung in ihren musikalischen Aktionen nicht den polternden Zwischenruf als Querschläger wagen sondern ein Abheben in winzige Opern-Oasen erträumen will.
Respektabel allemal, wie das kleine Fürther Theater dieses „große“ Stück besetzen kann. Benedikt Zimmermann, Frerk Brockmeyer und Theresa Martini (die sterbenden Kinder der Mutter Courage) sind da besonders auffällig, auch Paul Kaiser (Koch) und Rainer Appel (Feldprediger). Der größte Premierenbeifall im ausverkauften Haus gehörte aber eindeutig Michaela Domes, die an gleicher Stelle einst die Martha in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ und in Nürnberg nebenan alles von Lady Macbeth bis Iphigenie war. Sie hat die problematisch gewordene Brecht-Figur, die da zwischen „Maiandacht und Maiennacht“ ihre auslaufende Lizenz zum Leben immer mit dem sardonischen Hinweis aufs „anständige Gesicht“ verlängert, nicht auf den Kopf gestellt, aber mit Köpfchen gespielt. Dafür gab es Bravo-Rufe.