Foto: Tarantino meets Shakespeare bei der Bremer Shakespeare Company. © Marianne Menke
Text:Jens Fischer, am 11. November 2011
Wegen „Erfolglosigkeit“ von der Ehefrau entsorgt wurde der eine. Der andere ehelichte eine Hure, die aber daheim nicht ihren Job fortsetzen, sondern den Feierabend genießen möchte. Clochards des Lebens sind die beiden Herren. Ihr einziger Kontakt zum gesellschaftlichen Miteinander: Mord. Pulp und Fiktion sind Auftragskiller. Von Quentin Tarantinos Kultfilm inspiriert, eifern sie den extrem gelassenen Sprücheklopfern Jules und Vincent (Samuel L. Jackson / John Travolta) nach, die Kinder der Marx und Blues Brothers sowie Väter der Men in Black sind. Da Autor John von Düffel aber nicht nur Kinogänger, vor allem Theatermann ist, heißt sein 1997 am Theater Basel uraufgeführtes Stück „Shakespeare, Mörder, Pulp & Fiktion“. Die Handlungssituation bezieht sich auf Samuel Becketts „Warten auf Godot“ – und natürlich Shakespeares Tölpelszene der beiden Mörder-Clowns, die für Richard III. den Rivalen um den Köningsthron töten sollen: seinen Bruder Clawrence.
Eine reizvolle Gemengelage, ein geradezu shakespeareskes „mingle-mangle“ der Stile, mit dem die Bremer Shakespeare Company (BSC) die eigene Heimatlosigkeit annimmt. Ihr Theater am Leibnizplatz aus den 70er Jahren wirkte immer schon wie eine aus der Not geborene Übergangslösung: zu klein, zu wenig repräsentativ, zu ungemütlich, zu charmefrei, zu marode. Sanierung überflüssig, lautete nun das Urteil. Abriss und Neubau. An die vier Millionen Euro soll das kosten und ein gutes Jahr dauern. Werkstatt, Verwaltung, Vorverkaufstelle haben bereits hier und dort Obdach in Bremen gefunden. Zeit also, auch Aufführungsmöglichkeiten zu erkunden. Quer durch die Stadt sollen die theatralen Produkte nun angeboten werden: in Cafés, Kulturzentren, Bürgerhäusern, im Landgerichtssaal und einem Konzerttempel. Chancen für einen Neuanfang also, das ermattete Theaterkonzept künstlerisch zu befruchten, an neuen Orten neue Spielwiesen zu erkunden und neue Zuschauer kennenzulernen. Auch wenn es zeitlich/finanziell/organisatorisch nur zu zwei Premiere in der aktuellen Saison reicht. Im althehrwürdigen Concordia, einem ehemaligen Kino, in dem schon George Tabori, Rainer Werner Fassbinder, Johann Kresnik und Reinhild Hoffmann Theatergeschichte schrieben, kommt im März 2012 der „Sommernachtstraum“ heraus. Zuvor aber wagt sich die BSC ins Zentrum des linksalternativen Studentenviertels, ins „Lagerhaus“, wo man sonst zu Ska-Punk hüpft, bei Slam Poetry lacht und stets stilecht mit der Bierflasche in der Hand den Darbietungen folgt.
Auch wenn dieses Setting dazu animiert: Die gesanglichen Fähigkeiten der Darsteller legen es nicht unbedingt nahe, Lieder vorzutragen. Da aber solche geschrieben wurden, um all der gestrichenen Textpassagen zum Trotz auf gut anderthalb Aufführungsstunden zu kommen, werden die Lieder dann auch runtergeschrammelt. Wozu der „Lagerhaus“-Saal vor allem naturbelassen wurde, so wirkt er bühnenbildnerisch wie ein Proberaum für Amateur-Rockmusiker (Ausstattung: Melanie Kuhl). Auch sonst macht es sich Regisseur Frank Auerbach nicht leicht. Natürlich zeigt er das komödiantisches Fechten mit Worten, wie zwei obercool sich gebende Profikiller im Angesicht ihres hilflos schlafenden Opfers plötzlich von Skrupeln, Grübeleien, Selbstzweifeln, Empathie belästigt werden, die Knicks in ihrer Mörderkarriere zu rekapitulieren beginnen, Alltagsorgen ausbreiten, vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen, sprachwitzig räsonieren, bis höherer Blödsinn draus wird. Aber nur in rasantem Tempo das bizarre Dialog-Pingpong zu rhythmisieren, das wäre doch ein zu simpler Theatererfolg.
Bei Shakespeare sind die beiden Komiker ja Pausenfüller, bieten grausig-komische Entspannung im gewaltigen Handlungsgeflecht. Jetzt sind sie alleinige Hauptdarsteller – und trotzdem noch gefangen im Rollenkorsett eines Buddy-Duos, also: Gegensatz-Paares. Der eine ist tumb, phlegmatisch, groß und noch behaart, der andere intellektuell durchaus wach, höchst temperamentvoll, klein und fast kahlköpfig. Natürlich funkt Komik aus dieser Konstellation. Was die beiden Helden einigt, ist ihr Unvermögen mit der als absurd empfundenen Lebenssituation umzugehen. Wirklich verzweifelte Macker. Zu allem bereit, zu nichts in der Lage. Weil lähmend gedemütigt. Von der Klassengesellschaft. Und dem weiblichen Geschlecht! Ihr mörderischer Job wird als Rache dafür inszeniert, all die tollen Frauen immer den Besserverdienenden überlassen zu müssen. „Die ganze Weiberwelt liegt ihn’n zu Füßen, scharfe Bräute, Luxuskörper, duftend, mit einem Tupfer Badeschaum hinter dem Ohr und Beinen bis zum Hals, und die, die Adelsmacker, lassen sie links liegen, schielen nach dem Thron und sind nur geil auf Macht. Wie geht das an, dass sexuell die Welt so falsch gepolt ist?“ Darum geht’s. Erkenntnis erwächst aus enttäuschtem Sexismus. Weswegen Pulp und Fiktion auch nicht smart perverse Idioten ohne soziale Schlaghemmung sind, sondern Möchtegern-Pop-Romantiker mit irrwitzigem Humor und üppig wuchernden Macho-Instinkten. Männer! Echte Loser. Clochards unseres aufgeklärten Daseins.