Foto: Szene aus "Zorn" am Theater Freiburg © Maurice Korbel
Text:Bettina Schulte, am 4. Dezember 2015
Acht Figuren suchen nach dem Leben. Dem Glück. Der einen intensiven Erinnerung. Dem Sinn. Der Liebe. Sie werden scheitern. Nein, sie sind schon gescheitert. Von Anfang an: Der Prolog von Nino Haratischwilis Stück „Zorn“ ist zugleich der Epilog, der erste Satz identisch mit dem letzten: „Wir werden gleich explodieren.“ Die Gewalt, die den 2009 als Auftragsarbeit für das Theater Göttingen entstandenen Text durchzieht, hat an Wirkmacht gewonnen nach den Anschlägen von Paris, die während der Proben für die Aufführung am Theater Freiburg geschahen. Nino Haratischwili, die Regie für Film und Theater in Hamburg studiert hat, wollte „Zorn“ noch einmal selbst inszenieren. Ihren Wunsch, mit einem georgisch-deutschen Ensemble zu arbeiten, machte eine Kooperation des Freiburger Theaters mit dem Tumanishivhili Film Actors Theatre Tbilisi möglich. Dort findet im Mai die georgische Premiere statt.
Man kann sich vorstellen, warum Nino Haratischwili genau so arbeiten wollte. Die Zweisprachigkeit entspricht ihrer Existenz in zwei Sprachwelten: 1983 in Tiflis geboren, kam sie erstmals mit zehn gemeinsam mit ihrer Mutter nach Deutschland. Das Heimweh trieb sie zurück zu ihrer Familie, bis sie 2003 in Hamburg ihr Studium aufnahm – und blieb. So selbstverständlich, wie Nino Haratischwili zwischen Deutschland und Georgien lebt, so selbstverständlich sprechen die fünf deutschsprachigen und drei georgischen Schauspieler zweisprachig miteinander. Irgendwann fällt es einem gar nicht mehr auf, dass die eine Sprache der Aufführung übertitelt werden muss – eine mutmachende Erfahrung in Zeiten der europäischen Renationalisierung.
Julia Bührle-Nowikowas Bühne unterstützt diese Offenheit: Sie hat eine raumbeherrschende Spirale ins Kleine Haus des Freiburger Theaters gebaut, auf der Kleidungsstücke hängen. Von oben regnen im Lauf des fast zweistündigen Abends weitere Stofffetzen hinunter auf eine Müllhalde aus Textilien. Es sieht ein bisschen nach postsowjetischem Chaos aus, nach einer Gesellschaft nicht im Aufbau, sondern in Auflösung. Es sind verschiedene Episoden, die sich in, an und außerhalb der Spirale bündeln. Zunächst scheinen sich nichts miteinander zu tun zu haben, doch im Verlauf des Stücks wird klar, dass alles miteinander verwoben ist: Das arrivierte Ehepaar Adam und Celia mit Adams Geliebter Antonia, diese mit Anton, der als vermeintlicher Terrorist von Rafaela (ein Glanzstück von Johanna Eiworth) verhört wird, der Mutter von Antonia. Adam wiederum sollte die Fernsehproduzentin Martha, die sich in einem Hotel mit Schwarzwälder Kirschtorte verbarrikadiert hat, weil sie einen Riesenprofit aus dem öffentlichen Sterben der jungen Rula gezogen hat, zur Vernunft bringen. Nur Oskar, der nach der Verbundenheit seines Körpers mit den Atomen von Sternen und Planeten sucht, lebt als Obdachloser allein im Wald.
Die Episodenstruktur von „Zorn“ bringt es mit sich, dass die Monologe der Figuren im Vordergrund stehen. Das könnte mühsam sein, aber Nino Haratischwilis Sprachgewalt gleicht diese dramatische Schwäche fulminant aus. Im deutschsprachigen Gegenwartstheater, das sich gern auf Ironie zurückzieht, um Pathos zu vermeiden, mag die melodramatische Wucht von „Zorn“, diese ungebrochen verzweifelte Wut der Figuren auf ein Leben, aus dem sie nicht ausbrechen können, befremdend wirken. Doch auch wegen der sehr beeindruckenden Leistung des deutsch-georgischen Ensembles ist „Zorn“ in Freiburg ein herausragender Theaterabend.