Foto: Experimentelles Musiktheater im Weimarer E-Werk: "Die erleuchtete Fabrik" in einer Inszenierung von Julia Hübner. © Anke Neugebauer
Text:Petra Hedler, am 9. Dezember 2012
Wieder einmal wagt sich das Deutsche Nationaltheater Weimar an ein ambitioniertes Projekt: Unter dem Titel „Die erleuchtete Fabrik“ befasst sich die Regisseurin Julia Hübner zu Musik von Luigi Nono, György Kurtág, Bruno Maderna und Luciano Berio mit Gehalt und Gestalt unserer schönen neuen Arbeitswelt. Zum Auftakt erklingt Nonos titelgebendes Werk „La fabbrica illuminata“, das im Eingangsbereich des Weimarer E-Werks ein ideales Ambiente findet. Die aus Fabrikgeräuschen, Chorgesängen und elektronischen Klängen collagierte Lautsprechermusik flutet den weiten Raum und umspült den ausrangierten Maschinenpark samt Publikum. Arbeiterpaare, für die es zwischen Arbeit und Schlafen kein Leben gibt, tauschen im Maschinentakt Bett und Schicht, während wie in einer Waschkaue ihre Habseligkeiten wie Erhängte von der Decke baumeln.
Doch wenn Ulrike Strömstedt als Revolutionärin stimmgewaltig und forschen Schritts durch den Raum eilt, hat dies auch etwas Nostalgisches, denn das anklagende Pathos und der aufrührerische Impetus sind uns längst abhanden gekommen. Erst nach einem Ortswechsel kommen wir im Hier und Jetzt an: Auf der Bühne stehen uns jene Kostüm- und Anzugmenschen gegenüber, die weltweit austauschbar die Bürotürme bevölkern. Wie in Trance, wie ferngesteuert von den mal zart-nebulösen, mal brodelnd-aufschäumenden Tonbandklängen (Madernas Continuo) zelebrieren sie ihre sattsam bekannten Rituale. An die Stelle klarer Fronten ist ein Kampf aller gegen aller getreten, der sich hinter einer routinierten Oberfläche verbirgt; an die Stelle revolutionärer Aufrufe die von Christoph Heckel vorgetragene Verheißung, uns durch Stärkung unserer _competitive intelligence_ einen kleinen Vorsprung sichern zu können. Doch Sieger kann es in diesem Spiel nicht geben, bald werden sie sich endgültig in einem aus Leuchtschnüren und Videoprojektionen gewobenen Netz verfangen haben.
Allein die Stimme birgt noch einen Hauch von Individualität, besonders eindrucksvoll, wenn Heike Porstein zu Berios „Sequenza III“ die aus dem Raster fallende Managerin mimt. Ihr Ausfall weckt zwar kurzfristig Aufmerksamkeit, vermag jedoch das System nicht nachhaltig zu irritieren, man muss sich ihrer nicht einmal aktiv entledigen, das Problem erledigt sich von selbst, muss nur noch entsorgt werden. Auch Kurtágs Chorzyklus „Omaggio a Luigi Nono“ gewährt Phasen des Innehaltens, doch schließlich treten alle der Reihe nach wie die Lämmer zur Schlachtbank, um ihre Kündigung zu unterzeichnen – Freisetzung statt Befreiung. Zum Schluss erklingt der Chor aus dem Unter- bzw. Hintergrund und entlässt uns mit einem Gefühl des subtilen Unbehagens – einen Ausweg aus der angeblich alternativlos gewordenen Welt kann auch er nicht weisen.
Julia Hübner und ihrem jungen Team (musikalische Leitung: Felix Bender, Bühne/Video: Iris Holstein, Kostüme: Esther Dandani) sind eindrucksvolle Bilder gelungen, in die sich die Musik stimmig einfügt, ohne zu illustrativem Beiwerk zu gerinnen . Einen besonderen Anteil daran hat neben den genannten Solisten der Opernchor, der sich den ungewohnten Klängen in jeder Hinsicht gewachsen zeigt. (Weitere Vorstellungen am 14. und 22.12.2012 sowie am 31.1.2013).