Foto: "Ein Maskenball" am Staatstheater Nürnberg. David Yim (Riccardo), Ensemble und Herrenchor © Jutta Missbach
Text:Dieter Stoll, am 8. Juni 2015
Im Vorspiel ist schon alles gesagt: Während das Orchester noch zögerlich erste Skizzen für melodramatische Verwicklungen entwirft, zeigt Regisseur Vincent Boussard in seiner Nürnberger Inszenierung von Giuseppe Verdis „Ein Maskenball“ die unlösbaren Probleme des tragischen Liebespaars zwischen Privat-Glück und Staatsaktion quasi als Konzentrat. Graf Riccardo fläzt in selbstzufriedenen Macho-Träumen auf seiner Couch, während die heimliche Gespielin der späten Stunde ihre umliegenden Kleider rafft und so ängstlich wie würdelos durch die Garderobe verschwindet. Der Herrscher, nach den wunderlichen italienischen Opernzensur-Gesetzen von einst zum Gouverneur im fernen Boston ernannt, hat seine sündige Hand auf der Ehefrau des besten Freundes. Am Ende, wenn er eine Wahrsagerin befragte und den Attentätern grade nochmal entkommen war, wird ihm dieser Betrug an Ehre und Eros unausweichlich das Leben kosten. Kann gar nicht anders sein.
Im Original schweift die Handlung unruhig zwischen Gouverneurspalast, Hexenhäuschen und Hinrichtungsstätte umher, ehe sie beim titelgebenden Maskenball zur finalen Gebrauchs-Apotheose findet. In der Deutung des französischen Teams, die in Koproduktion mit Toulouse entstand, wird die Inszenierung zur Installation. Regisseur Boussard und Bühnenbildner Vincent Lemaire sperren die Figuren in ihrer strikt clean bleibenden Design-Kunsthalle ein, wo ein Wechselrahmen mit Neonleuchten die Szene abgrenzt, und schieben Solisten wie Choristen in günstige Positionen nahe der Rampe, um sie dort nach getaner Arien-Arbeit wieder abzuholen. Die Wahrsagerin empfängt hier im Nebenraum zur Handlese-Vernissage mit Pyjama-Party, der Galgenberg ist durch ein hängendes Leichen-Objekt im Studio gekennzeichnet, könnte also auch Leihgabe aus dem Museum für Sepulkralkultur sein. Im Hintergrund erscheint dazu mehrfach bühnenfüllend ein über allen Turbulenzen schwebendes riesiges Foto-Negativ der Traumfrau Amelia, und weil sie der halbwegs unschuldige Anlass der tragischen Gefühlswallungen ist, bietet das schwarzweiße Kolossal-Kopfbild in den Augenwinkeln kleine Reservekanister für blutrot quellende Tränen. Weil sie schon mal da sind, dürfen sie mehrfach tropfen. Die Regie führende Installationsaufsicht hat noch mehr solcher Zaunpfähle zum Winken: Wenn die Figuren gegen die Konvention verstoßen, treten sie demonstrativ auf die Szenen-Abgrenzung zum Orchestergraben und sobald der vom Attentäter angeschossene Graf darüber hinaus zum bereitgestellten Miniatur-Thron taumelt, weiß jeder, dass er nun endgültig „aus dem Rahmen gefallen“ ist. Immerhin in silbrig glitzerndem Gewand, wie es der französische Modeschöpfer Christian Lacroix zum Ende allen Beteiligten großzügig als Ball-Garderobe überstülpte. Kollege Lagerfeld hat solch christbaumtaugliche Kostümierung schon mal als „Geschenkverpackung“ bezeichnet.
Nürnbergs Oper verblüffte in letzter Zeit damit, wie sie in der Grätsche zwischen Donizetti/Rossini und Wagner fast immer die passende Besetzung aus eigenem Ensemble plus Gast-Verstärkung hinbekam. Diesmal blieb alles im Bemühen. Weder der vom ersten Auftritt an überanstrengte Tenor David Yim (Riccardo) noch die unterkühlt bleibende Sopranistin Irina Oknina (Amelia), nicht der flintenartig aufs Notenbild bollernde Bariton Mikolaj Zalasinski (immerhin im zweiten Teil ein Renato mit Balance von Charakter und Tönen) und schon gar nicht die mit Moses-Wanderstab als schwarze Witwe aufmarschierende und beim Mezzo-Gurgeln äußerst vorsichtige Chariklia Mavropoulou (Ulrica). Am besten lief es für die junge Kolorateuse Julia Novikova (Page Oscar), man wird noch von ihr hören.
Generalmusikdirektor Marcus Bosch, für seine bisher drei „Ring“-Teile allseits gerühmt, war offensichtlich theoretisch gut vorbereitet auf die gewollten Widersprüche in Verdis Partitur und wehrt sich gegen die Regie-Sterilität. Er setzte ohne allzu große Rücksicht auf Verluste (was diverse Wackel-Kontakte beim Chor und gelegentlich die geblockte Durchschlagskraft der Sänger betraf) auf die instrumentale Kontrast-Dynamik von Pathos und Lyrik, Elegie und Attacke, nahm die ätzend scharfen Punktierungen wie emotionale Munition und salbte Poesie großflächig über die Wunden. Er ließ aufhorchen, wie er an bislang ungehörten Instrumentierungs-Einzelheiten kitzelte, tastete mit den für solche Herausforderungen allzeit bereiten Musikern der Staatsphilharmonie sozusagen Verdis Nervenzentrum für seine akute Diagnose ab. Aber auf dem Rezeptblock steht nichts. Bosch macht nichts falsch, doch statt eines inspirierten Aufschwungs aus allen Erkenntnissen bleibt es am Pult bei solidem Stückwerk, beim Klangbild aus der denn doch der Inszenierung ähnelnden Kunst-Werkstatt. Man hört das Gerüst mit. Nebenbei ein hübsches Nürnberger Déjà-vu, denn hier gab es mit Christian Thielemann schon mal einen hoch angesehenen Generalmusikdirektor, der mit Wagner und ähnlichen Kalibern bravourös war, aber bei Verdi (da ging es um den „Troubadour“) an Grenzen stieß.
Der Beifall fiel freundlich aus. Nach den kürzlichen Aufregungen um den frechen „Siegfried“ von Georg Schmiedleitner gab es Abonnenten, die das Arrangieren als Gegenmodell zur Regie durchaus begrüßten.