Foto: Tanz der Vampire im Kunstmondlicht (Opernchor) © Mathias Baus
Text:Andreas Falentin, am 7. Mai 2017
Andreas Falentin über die Premiere von Heinrich Marschners Oper „Der Vampyr“ am Theater Koblenz
Mit seiner achten Oper gelang Heinrich Marschner 1828 der Durchbruch zum führenden Opernkomponisten seiner Zeit. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war „Der Vampyr“ ständiger Gast auf deutschen Bühnen. Bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde er immerhin gelegentlich inszeniert. Eine gedruckte Partitur jedoch gab es nie. Erst 2009 schloss Egon Voss seine historisch-kritische Ausgabe ab und das Koblenzer Theater benutzt sie – im Gegensatz etwa zur Komischen Oper in Berlin, die den „Vampyr“ in der letzten Spielzeit zur trashigen Grusel-Gaudi eindampfte.
In Koblenz hört man, in voller, dreistündiger Länge, ein Bindeglied nicht nur zwischen Weber und Wagner, sondern auch zwischen Klassik und Romantik. Die Titelfigur etwa steht auf den Schultern von Don Giovanni und Webers Kaspar – und nimmt gleichzeitig in vielem Wagners „Holländer“ vorweg. Zudem ist die große Einführungsarie „Ha, welche Lust“ ohne die Pizarro-Arie im Fidelio nicht denkbar. Und das wohl bekannteste Stück der Oper, Emmys Romanze vom „bleichen Mann“ befindet sich stilistisch auf einer schon fast absurd direkten Linie zwischen Ännchens „Freischütz“ – Romanze und Sentas Ballade, dem progressiven Kernstück des „Fliegenden Holländers“, das hier bis in die Bauform vorgeprägt ist. Derlei Bezüge tun sich in nahezu jeder Note auf. Dass man sie fast alle hört, liegt am souverän koordinierenden, die Spannungsbögen in den schier endlosen Ensembles stringent formenden Enrico Delamboye und der sich, nach etwas wackeliger Ouverture, in große Spiellaune steigernden Rheinischen Philharmonie. Auch die Sänger tun das ihre, um die Kostbarkeiten des Stückes angemessen zu präsentieren. So macht Hana Lee die erwähnte Romanze mit hochkonzentrierter, stimmlich feinerr Gestaltung zu einem echten Höhepunkt, Bastiaan Everink taucht tief ein in die große Erzählung seiner Vampir – Werdung und vier losgelassene Choristen machen den 19.Jahrhundert-Männerchor-Hit „Im Herbst, da muss man trinken“ zu einem herrlich ungewaschenen Kabinettstück.
Und die Szene? Drei Stunden lang muss ein Vampir als lebensverlängernde Maßnahme drei Jungfrauen aussaugen, die jeweils von ihren Angehörigen betreut werden. Dazu kommt Aubry, der Herzbube einer der Damen, der das finstere Geheimnis der Titelfigur kennt, es aber, durch einen Schwur gebunden, nicht Preis geben darf und also weinerlich herum zu leiden hat, bis er sich am Ende doch traut. Was macht ein Regisseur heute damit?
Der inszenierende Intendant Markus Dietze versucht die Quadratur des Kreises. Offensichtlich möchte er die Behäbigkeit der Dramaturgie, den biederen Charakter der Singspielszenen bloßlegen, genau diesen aber nicht wirklich antasten. Zwecks Distanz hat er die Dialoge vorab von Schauspielern auf gutem Niveau einsprechen lassen. Seine Sänger verhalten sich dazu stumm auf der Bühne und sollen dabei – vielleicht – ein wenig übertreiben. Sie übertreiben arg dezent. Zweiter Kunstgriff: Die Dorf- und Schlossbevölkerung besteht hier, bewundernswert individuell gewandet und maskiert, aus Vampiren, soll so Komik und Grusel erzeugen, vielleicht so in der Art von Polanskis „Tanz der Vampire“. Das passt allerdings nicht immer zum Libretto und wird gelegentlich auf fast schüchterne Vampirposen reduziert. Die musikalische und physische Beweglichkeit des Koblenzer Opernchores ist dennoch zu preisen. Dennoch geht sie nicht ganz auf, diese sich nicht um Klischees scherende, sehr plastische, wenn auch gelegentlich etwas einfallsarme, holzschnittartige Erzählung. Das Publikum spendet begeisterten, üppigen Applaus – aber die Lebensfähigkeit oder gar Dringlichkeit dieses musikhistorisch durchaus wesentlichen Stückes muss anderswo bewiesen werden.
Weitere Termine: 15./22./26. Mai; 1./4./14./20./22./24.6.