Damit ist ein Ton, auch ein Level gesetzt für diese Inszenierung, die im düsteren Bühnenbild von Peta Schickart beginnt: Gegenlicht blendet das Publikum aus einem finsteren, sich nach hinten verengenden Schacht, aus dem sich „Schwester 1“ (Susann Thiede) herauskämpft, um streng und anklagend von Krieg und der „Generation Mauer“ zu sprechen. Das ist Ines Geipels Thema, die unerbittlich eine Linie zieht von NSDAP zu SED, PDS und AfD und die eigene Familie als Schema nimmt. Der Großvater war an den Judenmorden in Riga beteiligt, der Vater war Stasispezialspitzel, der „Feinde“ bis in den Westen verfolgte und daheim Sohn und Tochter verprügelte. Wie soll man, wie sollen Kinder das aushalten, ist eine der Fragen des Abends.
Die Bühnenfassung von Armin Petras ist, wie oft bei Buchbearbeitungen, ein Textstück. Das sucht Regisseur Petras mal aufzulockern mit DDR-Schlagern („Repliken auf eine reale DDR-Gesellschaft“ nennt er sie im Programmheft), mal beklemmend zu bebildern. Aus dem Orchestergraben wird der „BürgerSprechChor“ hochgefahren, in zusammengestoppelter Winterkleidung, mit Schals gegen Krieg, Kälte und Corona vermummt. Die 29 Akteure zeichnen Großvaters freiwilligen Osteinsatz nach, als „Schlächter von Riga“, der für sich „Ghetto-Möbel“ bestellte.
Das ist eindringlich und bedrückend, doch wenig später kriegt die Inszenierung einen Knacks, von dem sie sich nicht mehr erholt. Das Stück springt zwischen den Jahren hin und her, man ist gerade beim Ende der Entnazifizierung und Gründung der DDR – da lässt Petras Schnatterinchen, Frau Elster und Pittiplatsch aufmarschieren. Das sind die Kumpels des Ost-Sandmännchens, das sein West-Pendant aus dem Programm warf, also „besiegte“. Im schönsten DDR-Synchronton spinnen nun sie die Themen weiter und natürlich stecken die Hauptdarsteller in den lebensgroßen Puppen. Der „Ostalgie“ ist Petras ganz gewiss unverdächtig, auch der gnadenlosen Verdammnis, die Geipel für Zeitläufte und Vater pflegt. Eine, moderatere, Haltung zu Zeit und Geschichte hat auch er normalerweise, die aber hier im Sandmännchen-Theater untergeht.
Ohne Puppen geht es nach der Pause des immerhin zweieinhalbstündigen Abends weiter, nun werden DDR und Vater gesichtet und gerichtet. Dessen acht Decknamen werden aus der Stasi-Akte zu flotter Musik verlesen, er selbst (Gunnar Teuber, der auch den Großvater spielt) darf die Typen nochmal vorführen. Das alles wird mehr zur Stichwortkette als zur Analyse, die Geipel in ihrem Buch zumindest versucht. Und das Jahr 1989, die Wende, wirken wie schnell noch drangeklebt. Ein aggressiv-anklagender Frauenchor hetzt durch Themen, kommt von FDJ zu NSU („das ist unser 11. September“), hat auf „Was wollen wir?“ keine Antwort und wird im Schacht zusammengeschossen.
Über das Buch kann man sich ärgern oder streiten, nach dieser Aufführung aber bleibt vor allem Ratlosigkeit.