Foto: Jan Thümer, Matti Krause und Markus John (v.l.). © Maris Eufinger
Text:Ruth Bender, am 11. November 2024
Andras Dömötör inszeniert poetisch im Malersaal des Schauspielhauses Hamburg Péter Nádas‘ „Der eigene Tod“. Der Text, basierend auf den eigenen Erlebnissen des Fotografen und Autors Nádas in Budapest, bringt Tiefe in die Inszenierung und überstrahlt die Bühne.
Drei Schauspieler auf der Bühne, verbindliches Lächeln, Verbeugung, Applaus, Blackout. Das Spiel ist zu Ende, bevor es überhaupt angefangen hat. So steigt András Dömötör im Malersaal des Schauspielhauses Hamburg ein in Péter Nádas‘ Essay-Erzählung „Der eigene Tod“. Das Ende ist der Anfang, die Stille vor dem Erwachen. Und schon geht das Licht wieder an. Liegt einer der drei am Boden, während die anderen ihn mit Gesten auf dem Grat von Hilfestellung und Ratlosigkeit beschwören.
2002 hat der vielfach preisgekrönte ungarische Fotograf und Autor den knappen Text geschrieben, sich den Tag zurückgeholt, an dem er in Budapest auf offener Straße zusammensackte. Herzinfarkt. Blaulicht. In der Klinik dann Herzstillstand. Nach dreieinhalb Minuten ist Nádas wieder zurück – und gibt dem Arzt erstmal seine Telefonnummer weiter.
Die Vorlage und die Adaption
Ein klarer, schöner Text ist das, geschrieben im Tonfall sachlichen Staunens angesichts der eigenen Körper- und Seelenreaktionen – aber auch einer unverhofften Selbstironie. Und ein mutiges Unterfangen, diesem mit Theatermitteln beizukommen.
Dömötör, vom Deutschen Theater Berlin bis zur Wiener Burg und zum Theater Basel viel gefragter Regisseur, spaltet den Ich-Erzähler auf – und stellt drei Allerweltsmänner unterschiedlichen Alters auf die Bühne. Markus John, Matti Krause und Jan Thümer, in der Weißrot-Farbskala ihrer Kleidung (Kostüme: Jana Sophia Schweers) schon auf den Ernstfall verweisend: Sind wir nicht alle potentielle Notfallpatienten und Helfer zugleich?
Irgendwo zwischen den ersten verstörenden Symptomen wie der Schwitzattacke und den abwehrenden Gedanken samt Erklärungsversuchen irrlichtern die Drei über die Bühne. Im steten Bemühen, sich zu den Worten zu verhalten. Dabei sind sie lakonische Beobachter ihrer selbst. Agieren mal pragmatisch handelnd, mal in wachsender Verwirrung, wenn sie auf ihrem Hocker ruckeln, rutschen, zusehends den Halt verlieren. Fragt sich, ob hier das Spiel nicht vor allem choreografische Bebilderung bleibt. Besser, man hört der Sprache zu. Wie der Ton ausbricht, vom Sachlichen in wachsende Dringlichkeit kippt. So als könnten die Worte der Erkenntnis davonlaufen.
Zurechtfinden im Bühnenbild
Dabei ist es anfangs, als müssten sich die Schauspieler in der Unübersichtlichkeit der Comic-Landschaft, die Julia Oschatz in dieser Spielzeit als Bühnenbild in der „Realnische“ des Malersaals gezeichnet hat, erstmal zurechtfinden. Im Zuviel von Zeichen und Zitaten, die ihnen notwendigen Requisiten selbst zusammensuchen.
Jan Thümer, Matti Krause und Markus John in „Der eigene Tod”. Foto: Maris Eufinger
Dazu springen die Gedanken von der Alltagsanforderung in die Akut-Situation, scheinen sich der Klärung im sachlichen Gespräch gleichzeitig zu verweigern: Die Akteure arbeiten sich durch unterschiedliche Erregungszustände, suchen Zuflucht in den anerzogenen Handlungsmustern, irren durch die Diskrepanz von desolater Physis, Empfinden und gedanklicher Einschätzung. Manchmal reden die drei sich auch um Kopf und Kragen. Matti Krause hat dabei nicht immer den inneren Lautstärkeregler im Griff.
Der Schein trügt
Vielleicht ist da aber auch die wider alle Klarheit sich steigernde Paranoia am Werk: Nichts scheint wichtiger im Moment des physischen Zusammenbruchs, als die Contenance zu wahren, nach außen keine Schwäche zu zeigen: „Am besten so tun, als wäre alles in schönster Ordnung.“ Und dann ist da noch die Druckfahne, die es zu dringend korrigieren gilt. Der Alltag scheint das erste und das fast letzte, an das wir denken. So ironisch wie hoffnungslos.
Dömötörs zurückhaltende Inszenierung könnte auch ein Manager-Workshop sein oder die Psychositzung mit dem eigenen Selbst. Wie sie sich in einer Choreografie des Schmerzes über die Rollpodeste quälen wie müde gewordene Action-Helden, sich in den Geländern aufhängen oder als schwer Getroffene über die Bühne schleppen wie im Western. Die hard – aber gibt es das überhaupt, den leichten Tod?
Langsam zur Katastrophe
Warum es wen trifft? Nádas stellt schnell fest, dass das keine Rolle spielt. So treibt das Innenleben des Erzählers langsam auf die äußere Katastrophe zu. Bis zum Blackout. Zum Schlussapplaus kommt Nádas, mittlerweile 82, auf die Bühne, es entsteht zwischen Dunkel und Licht der doch noch so theatrale wie lebendige Moment, an dem alles endet und alles beginnt.
Das Theater kommt dabei, zügiger noch als die Sprache, an seine Grenzen. Ganz klar: Der Abend mag erstaunlich heiter durch die Erregungszustände turnen – aber der Text braucht die Bühne nicht, um zu leuchten. Man spürt sie trotzdem – die menschliche Komödie und Becketts traurig-tröstliche Endspiele.