Foto: © Sabina Bösch / Schauspielhaus Zürich
Text:Anna Bertram, am 26. Januar 2025
Caren Jeß‘ „Heartship“ ist eine Geschichte über den Ausbruch aus bekannten Gender- und Liebesvorstellungen. Ebru Tartıcı Borchers inszeniert den Versuch, eine Beziehung zu verstehen, und baut ein Schiff für das Herz.
Wie sieht sie aus, die Befreiung aus dem Patriarchat? In „Heartship“ geht es um geteilten Schmerz. Um den Frust darüber, in einer Welt zu leben, die weh tut und krank macht. Und so findet diese Uraufführung im Heartship statt – eine Kneipe, eine Theaterbühne, ein sicherer Hafen. Der Titel der Inszenierung wird nicht zufällig gewählt sein, spielt der Abend doch im Schiffbau des Schauspielhaus Zürichs. Dort, in der Halle, wo man im 19. Jahrhundert noch Schiffe baute und wo es heute nun mehr Theaterabende sind, die fabriziert werden. Dort begegnen wir den zwei Figuren Sara und Ann, die das Publikum mit an ihre Schwelle von Norm und Liebesbeziehung nehmen. Wie sieht das aus?
Sara (Katrin Wichmann) arbeitet im Theater und schlägt mit ihrer Direktheit nahezu aus, wirkt fast überhöht auf der Bühne und in ihren bunten Wollpullovern. Sie lässt nachts in einer Kneipe mit spoken-word ihren Frust gegen die Welt und Männer raus. Ann (Alicia Aumüller) hingegen trägt ein schwarzes, elegantes Kleid und auch etwas Gesetztes in sich. Sie ist Mutter eines erwachsenen Sohnes und scheint auf eine melancholische Weise in ihrer Ruhe fast eingezäunt. Sie arbeitet als Ärztin. Über den Kollegen, der sie auf Arbeit belästigt, tröstet sie sich selbst hinweg.
In gänzlich unterschiedlichen Formen treffen die beiden Frauen aufeinander, anders im Wesen und im Umgang mit der alltäglichen Schwere, den chronischen Krankheiten, dem allgegenwärtigen Druck. Doch sie teilen dieselbe Welt: Glänzend, weiß und glatt wirkt die Bühne mit ihren Stufen und Podesten. Fast wie ein Designentwurf, der in Minimalchic an Aufstiegs- und Abstiegsmöglichkeiten erinnert. This is not your regular queer story, wird schnell klar – wir befinden uns im Bürgertum. Da ist ein weißer Teppich, eine schwarze Bluse mit farbigen Blumen und irgendwann werden Kartoffeln geschält.
Vulgär und zärtlich
Mit Sara und Ann betrachten wir zwei entgegengesetzte Figuren, die mit ihrem Schmerz und ihrer persönlicher Vergangenheit gemeinsam umzugehen lernen. Sie finden zusammen, regulieren sich gegenseitig und finden Halt irgendwo in der Mitte, in einer Umarmung. Die Spielweise des Abends hat einen leicht theatralischen Überschwang: Der Text von Caren Jeß nimmt uns auf einen Schlagabtausch mit, nahezu atemlos, mitunter etwas vulgär, dann wieder zärtlich, meist aber in Bewegung. Die Outfits werden gewechselt, Sara und Ann sind im Gym beim Aerobic, es wird performt und geschwitzt. Dann geht man im Zoo spazieren, später ist man wieder in der Kneipe Heartship. Abends ist ein Treffen Zuhause, es gibt Pizza und eine Zartheit legt sich über den Holztisch.
Eines Tages dann geschieht ein Kuss, inmitten auf den Stufen sitzend beim Eis. Zuwendung, Halt und Anteilnahme entwickeln sich zwischen den beiden, Sex aber werden sie nicht haben. Im Versuch, ihre Beziehung zu verstehen, einigen sie sich auf eine eigene Formulierung: Sie haben ein Heartship, sie haben sich ein festes Schiff für das Herz gebaut.
Alicia Aumüller, Katrin Wichmann. Foto: Sabina Bösch / Schauspielhaus Zürich
Sara und Ann haben dabei Spuren hinterlassen. Es bleiben immer mehr Gegenstände über den Abend auf der Bühne liegen, ganz wie eine sich formende Patina ihrer Beziehung: Popcorn auf dem Teppich, ein Tisch mit dreckigen Geschirr, ausgedrückte Zitronen und ein benutztes Wattepad liegen auf dem Boden. Sara und Ann lassen Druck ab und Luftpolsterfolie zerplatzen, springen und spielen darauf. Lo-Fi-Musik mit leicht schimmernden Synthbeats untermalt immer wieder die Szenenwechsel. Ja, zusammen scheinen die beiden besser zu sein als alleine.
Doch nein, es ist kein kompromissloser Kampf zweier Personen, die aus den üblichen Vorstellungen von Gender und Liebe ausbrechen. Freiheit besteht letztlich nicht aus Luftpolsterfolie. Und so bleiben Sara und Ann meist versteckt im Privaten, ein Ausbruch findet nicht statt. Es mag also genau das Fehlen einer formalen Radikalität sein, das den Abend in seiner eigenen Behauptung nicht ganz aufgehen lässt. Hier gibt es kein Coming Out. Das Heartship wird gebaut, aber es läuft eben nicht aus dem Hafen aus.