Foto: Kenji Takagi, Thomas Braus, Silvia Munzón López und Clémentine Deluy in „Phaedra“ am Schauspiel Wuppertal © Uwe Schinkel
Text:Martin Krumbholz, am 28. April 2024
Die berühmte Dreiecksgeschichte um Phädra, Hippolyt und Theseus wird am Schauspiel Wuppertal wieder aufgewärmt. Warum die Tragödie nach all den Jahrtausenden immer noch relevant sein soll, bleibt in der Inszenierung zwischen Tanz und Schauspiel aber unklar.
Die Geschichte ist recht bekannt – von Euripides, von Seneca, von Racine: Phaedra liebt ihren Stiefsohn Hippolyt, der sie verschmäht. Sie verleumdet ihn bei ihrem Gatten Theseus, der aus der Unterwelt zurückkehrt. Hippolyt wird mit dem Tod bestraft und Phaedra, reumütig, nimmt sich das Leben. Thomas Braus, Intendant am Schauspiel Wuppertal, hat sich anlässlich eines Mischprojekts Schauspiel/Tanz für Seneca entschieden und eine eigene Fassung der Tragödie erstellt, in einer schlichten, man könnte sagen zeitgemäßen – in einer „leichten Sprache“.
Phädra kann ihr Verlangen kaum kontrollieren – wegen eines Fluchs. Foto: Uwe Schinkel
Doppelte Rollenverteilung in Wuppertal
Die Amme, einfühlsam gespielt von dem Tänzer Kenji Takagi, benutzt hier Phrasen wie „Alles gut“ oder, sanft ermutigend: „Du solltest ausgehen, Sex haben.“ Der angesprochene Hippolyt will davon nichts wissen. Braus spielt ihn selbst, als asketischen, abweisenden, in sich sonderbar verkapselten Jungen, der die Frauen verachtet (durch sie käme das Böse in die Welt) und sich lieber der Natur zuwendet. Die wird auf der Bühne des kleinen Theaters am Engelsgarten durch einen opulenten Wald mit kopfüber stehenden Bäumen repräsentiert, knorriges Baumhaus inklusive.
Phaedra ihrerseits erscheint als Double, zwei Akteurinnen in violetten Roben (Silvia Munzón López und Clémentine Deluy), die einen körperlichen Ausdruck für ihr Begehren und ihre Verzweiflung suchen. Den heimkehrenden Theseus gibt ebenfalls Braus, diesmal in einer grob-martialischen (und klischeehaften) Variante des frauenverachtenden Asketen. Schließlich bilden alle vier Beteiligten einen „Clownschor“: illuminierte blau-rote Masken, die im Dunkeln leuchten und auf groteske Weise Distanz zum Geschehen schaffen sollen.
In Wuppertal werden Tanz und Schauspiel verbunden – leider ohne eine neue Ebene. Foto: Uwe Schinkel
Theater zwischen Tanz und Schauspiel
Ob es sich hier noch um einen „tragischen“ Vorgang handelt, wie frei nach Seneca auch immer, ist die Frage, die der Abend letztlich nicht beantwortet. Die Frage nach der Schuld (nicht nur Phaedras, sondern auch Hippolyts und Theseus‘) wird erklärtermaßen tiefer gehängt, aber ohne sie bleibt wenig übrig. Die Doppelregie von Pascal Merighi und Thusnelda Mercy bemüht sich um schön anzuschauende Bilder. Doch unterm Strich kommt beides zu kurz: die Choreografie, die sich in minimalistischen Ansätzen erschöpft, sowie die Erforschung der Figuren und ihrer tieferen Antriebe.
Was an der Geschichte so atemberaubend sein soll, dass sie über Jahrtausende lebendig blieb, erscheint an diesem kurzen Abend rätselhaft. Eigentlich wäre Phädra die Hauptfigur, in ihrem heißen Begehren, ihrem Furor, ihren Selbstzweifeln und ihrer Reue. Hippolyt ist es nur in der ältesten Fassung, bei Euripides. Dessen Narzissmus könnte man fast langweilig finden. Aber die beiden Phaedras, die sich ihrerseits ineinander spiegeln, geben wenig Einblick in ihr Inneres. Sie scheinen sich eher hinter den wohlgeformten Tanzgebärden eher zu verschanzen.
Alles in allem ist in Wuppertal – bei allem Ehrgeiz – ein sonderbarer Hermaphrodit entstanden. Keine wirkliche Choreografie und kein wirkliches Schauspiel, sondern eine bereits abgekühlte Melange.