Foto: Das Ensemble des Wiener Volkstheaters in "Rom" nach Shakespeare © Marcel Urlaub
Text:Christina Kaindl-Hönig, am 21. April 2024
Luk Perceval inszeniert am Wiener Volkstheater die Uraufführung von Julia Josts „Rom“. Eine fragmentierte Kompilation aus Shakespeares Römischen Tragödien, die selbst der belgische Theaterkünstler mit pathetischem Bühnennebel nicht zu retten vermag.
„Weil er ein Despot war, erschlug ich ihn.“ Schluchzend gekrümmt und zitternd steht Brutus (Lavinia Nowak) im schwarzen Anzug und weißem Hemd des Bürokraten vor der hell erleuchteten Steinmauer an der Bühnenrampe. Unaufhörlich fließt Wasser über die massive Wand. Ein gleichsam steinerweichendes Rinnsal aus Tränen, das Brutus‘ Verteidigung der Ermordung Caesars ebenso begleitet wie den darauffolgenden Verrat Marcus Antonius‘ (Frank Genser) in seiner berühmten Rede an die Römer. „Und was wird jetzt aus Ägypten?“, fragt wenig später Kleopatra (Julia Riedler im flammenroten Kleid) trotzig ins Publikum.
Dafür erntet sie befreiendes Lachen, ehe die Wogen wieder hochgehen: Stumm ringt Kleopatra mit Antonius vor der Klagemauer. Sie wirft ihn behände ins gut gefüllte Wasserbecken, quetscht seinen Hals mit den Oberschenkeln, neckt ihn, liebkost ihn, um schließlich wie eine Gekreuzigte triefend über dem Geliebten zu thronen. Aus dem Off klingen am Ende die Stimmen des lebensmüden Paares über eine menschenleere Bühne, erfüllt vom Ächzen der sich stetig im Kreise drehenden Mauer (Bühne: Philip Bußmann).
Die Inszenierung von Luk Perceval in Wien kreist um eine große Wand. Foto: Marcel Urlaub
Momentaufnahmen des antiken Roms in Wien
Gleichsam um eine leere Mitte kreist leider auch die bis auf wenige Momente überaus statische Inszenierung Luk Percevals dieser Uraufführung von Julia Josts „Rom“ am Wiener Volkstheater. 25 Jahre nach seinem zwölfstündigen Königsdramen-Marathon „Schlachten!“ (gemeinsam mit Tom Lanoye) nach Shakespeares Rosenkriegen widmet sich der belgische Theaterkünstler erneut einer Zusammenschau von Shakespeare-Tragödien.
Mit ihrem Bühnenerstling „Rom“ schuf die 1982 in Kärnten geborene Julia Jost, die bei Perceval Regie studiert hatte, eine sehr freihändige Kompilation aus Shakespeares Römerdramen. Sprachlich uneinheitlich montierte sie Textschnipsel aus „Coriolan“, „Julius Caesar“, „Antonius und Cleopatra“ sowie Shakespeares blutrünstigem Tragödienerstling „Titus Andronicus“ mit Zitaten etwa von Hannah Arendt, Klaus Theweleit und Slavoj Žižek zu einem diffusen Stimmengewirr. Anders als bei Lanoye, der sich in „Schlachten!“ auf eine lineare Handlung konzentrierte, zerfällt Josts Textsampling zu Momentaufnahmen – wofür selbst der große Bühnenerzähler Perceval keine theatralisch überzeugende Umsetzung fand.
Flickwerk bleibt auch die zweieinhalbstündige szenische Umsetzung. Mit Taschenlampen beleuchtet das Ensemble gegenseitig die Gesichter, ehe sich Andreas Becks Coriolanus mit weißem Bart, wirrem Haar und verschlissen-grauem Pullover (Kostüm: Ilse Vandenbussche) als depressiver Feldherr zu erkennen gibt. Erschöpft und schluchzend hängt er im Rollstuhl in den Armen seiner Mutter (Friederike Tiefenbacher als Volumnia), unterbrochen von einer Art Hexenchor (Claudia Sabitzer, Evi Kehrstephan, Uwe Rohbeck), der die Gräueltaten aus „Titus Andronicus“ schildert. Mit den Worten, „auch du, Brutus!“, wird Coriolan für Momente scheinbar zu Caesar, ehe er schwer atmend im Bühnennebel versinkt.
Die großen Geschichten von Shakespeare geraten in Wien zu banalen Liebesraufereien. Foto: Marcel Urlaub
Shakespeare verkommt zum Beziehungsdrama
Besticht Shakespeare durch die exemplarische Darstellung von Machtmissbrauch anhand einzelner Individuen sowie durch die Präzision der Gestaltung komplexer gesellschaftlicher Entwicklungen und menschlicher Widersprüche, so dass aus dem Besonderen das Allgemeine begründet entsteht und universal die Zeiten überdauert, so bleibt Josts Textsampling lediglich an der Oberfläche. Verbindet die Szenensplitter zwar das Generalthema des menschenverachtenden Machtkampfes einer durch Kriege über Generationen militarisierten Männergesellschaft, vermögen sie dennoch nicht zu zünden. Josts „Rom“, Metapher für den korrupten, von Einzelinteressen gelenkten Staat, bleibt blutleere Behauptung und verzwergt Shakespeares Tragödie der Machtpolitik zum privaten Beziehungsdrama: „Komm“, sagt Kleopatra am Ende zu Antonius, „lass‘ uns tanzen und einfach schweigen.“