Szene aus "Nach dem Essen"

Er wird zum provokativen Fragezeichen

Simone Kucher: Nach dem Essen

Theater:Theater Regensburg, Premiere:30.09.2023 (UA)Regie:Gustav RuebKomponist(in):Jonas Julian Niemann

Aktionen von Fridays for Future und der „Letzten Generation“ vs. Wachstumsglauben der Wirtschaftswunder-Generation: Diese Debatten beherrschen seit einigen Jahren den gesellschaftliche Diskurs – und sind eine perfekte Steilvorlage für den Hörspiel- und Bühnentext „Nach dem Essen“ von Simone Kucher, der nun am Theater Regensburg uraufgeführt wurde.

„Nach dem Essen sollst du ruh‘n oder 1000 Schritte tun“, sagte schon ein lateinisches Sprichwort. Doch für den 14-jährigen Jonas, der in Regensburg von dem mit gleichem Vornamen ausgestatteten Jonas Julian Niemann gespielt wird, hat die Präposition „nach“ eine ganz andere Bedeutung. Er tritt nämlich nach einem Angelerlebnis mit einem Fisch an der Ostsee in einen Hunger- und Kommunikationsstreik. So wird er zu einem provokativen Fragezeichen für seine ganze Familie. Sein Schweigen wirkt auf die anderen (und auch auf das Publikum) wie ein reflexiver Rückspiegel: Was sollen wir machen?

Umgang mit Aktivismus

Simone Kucher hat den Drei-Generationen-Konflikt „Nach dem Essen“2020 zunächst als Hörspiel für den WDR geschrieben und nun für die Bühnen-Uraufführung am Theater Regensburg komplett überarbeitet. Wie reagiert die Schwester, wie reagieren die Eltern und die Großmutter auf die trotzige Verweigerung? Während der Vater (Michael Haake) den Sohn als beleidigte Leberwurst einordnet und von eigenen rebellischen Jugenderlebnissen in der Anti-Atom-Bewegung fabuliert, flüchtet die Mutter (Kathrin Berg) eher in eine „Maria-ihm-schmeckt‘s-nicht “-Ausrede.

Die gebeugte Großmutter (Max Roenneberg) versucht es mit Fütterung von Knödeln und mit dem Verweis auf eigene existentielle Erlebnisse nach dem Zweiten Weltkrieg. Schwester Billie (Anna Kiesewetter) lanciert dagegen den Bruder zum Instagram-Star und produziert launige TikTok-Videos. Sie löst damit eine World-Wide-Follower-Bewegung unter dem Hashtag #wearehungry aus, die am Ende jedoch aus dem Ruder läuft. Gleichzeitig alarmiert der Familienstreit einen sensationsgeilen Reporter (ebenfalls: Max Roenneberg), der bei Jonas „etwas Großes“ wittert.

Eine Person steht, eine andere liegt auf einer Bühne, die an einen Strand erinnert.

Die Inszenierung am Theater Regensburg überzeugt mit Video-Projektionen. Foto: Marie Liebig

 

Drama mit Tiefgang

Soweit die durchaus aktuelle Problemsituation, die aber noch durch einige spannende Assoziationsebenen unterfüttert wird: Jonas erinnert an den biblischen Jona, der im Bauch eines Wals überlebte und dann der Stadt Ninive den Untergang voraussagte. Im Gegensatz zu heute glaubten dem Propheten die Menschen (etwa 120.000 sollen damals dort gelebt haben) und Gott verschonte ihre Stadt. Auch der mittelalterliche Kinderkreuzzug, Verweise auf zirzensische Attraktionen der Hungerkünstler und die Gesänge der Sirenen mit weißen Overalls als moderne Deutung der Warnungen des antiken Chors führen die Handlung des Stückes in vertiefte Dimensionen.

Ein Mann in gestreiftem Pullover sitzt auf einer Bühne und schaut nach hinten. Dort geht eine Person nach hinten zu einer Meer-Projektion.

Der Protagonist Jonas erinnert in „Nach dem Essen“ auch an Jona im Walbauch. Foto: Marie Liebig

 

Theater Regensburg überzeugt mit multimediale Präsentation

Die multimediale Präsentation ist ein dickes Plus dieser Inszenierung von Gustav Rueb. Die bühnenbreite Videowand dient als stimmiger Hintergrund, der das Meer praktisch in die Szene plätschern lässt. Florian Barth hat diesen Video-Raum perfekt eingepasst, Jonas Julian Niemann hat für das Stück einen atmosphärischen Soundtrack am Laptop gezaubert.

Und dann ist da noch ein märchenhafter Fisch (Lilly-Marie Vogler), der sich zunächst als Gräten-Gerippe auf dem Esstisch der Familie wiederfindet, gleichzeitig aber mit glitzerndem Schuppen-Pailletten-Kostüm seinen jungen Jäger verzaubert und ihn schließlich in die ewigen Jagdgründe des Meeres entführt. Jonas findet nämlich doch wieder seine Stimme, singt mit sichtlicher Verunsicherung einen Song von Ton Steine Scherben („Der Traum ist aus, aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird“) und verschwindet dann durch eine Bühnentür in den Tiefen des Salzwassers.

Langanhaltender und absolut verdienter Beifall für einen höchst originellen und aktuellen Text, für ein präzises Ensemble und für eine stets unterhaltsame und zugleich nachdenkliche Inszenierung.