Umgang mit Aktivismus
Simone Kucher hat den Drei-Generationen-Konflikt „Nach dem Essen“2020 zunächst als Hörspiel für den WDR geschrieben und nun für die Bühnen-Uraufführung am Theater Regensburg komplett überarbeitet. Wie reagiert die Schwester, wie reagieren die Eltern und die Großmutter auf die trotzige Verweigerung? Während der Vater (Michael Haake) den Sohn als beleidigte Leberwurst einordnet und von eigenen rebellischen Jugenderlebnissen in der Anti-Atom-Bewegung fabuliert, flüchtet die Mutter (Kathrin Berg) eher in eine „Maria-ihm-schmeckt‘s-nicht “-Ausrede.
Die gebeugte Großmutter (Max Roenneberg) versucht es mit Fütterung von Knödeln und mit dem Verweis auf eigene existentielle Erlebnisse nach dem Zweiten Weltkrieg. Schwester Billie (Anna Kiesewetter) lanciert dagegen den Bruder zum Instagram-Star und produziert launige TikTok-Videos. Sie löst damit eine World-Wide-Follower-Bewegung unter dem Hashtag #wearehungry aus, die am Ende jedoch aus dem Ruder läuft. Gleichzeitig alarmiert der Familienstreit einen sensationsgeilen Reporter (ebenfalls: Max Roenneberg), der bei Jonas „etwas Großes“ wittert.
Drama mit Tiefgang
Soweit die durchaus aktuelle Problemsituation, die aber noch durch einige spannende Assoziationsebenen unterfüttert wird: Jonas erinnert an den biblischen Jona, der im Bauch eines Wals überlebte und dann der Stadt Ninive den Untergang voraussagte. Im Gegensatz zu heute glaubten dem Propheten die Menschen (etwa 120.000 sollen damals dort gelebt haben) und Gott verschonte ihre Stadt. Auch der mittelalterliche Kinderkreuzzug, Verweise auf zirzensische Attraktionen der Hungerkünstler und die Gesänge der Sirenen mit weißen Overalls als moderne Deutung der Warnungen des antiken Chors führen die Handlung des Stückes in vertiefte Dimensionen.
Theater Regensburg überzeugt mit multimediale Präsentation
Die multimediale Präsentation ist ein dickes Plus dieser Inszenierung von Gustav Rueb. Die bühnenbreite Videowand dient als stimmiger Hintergrund, der das Meer praktisch in die Szene plätschern lässt. Florian Barth hat diesen Video-Raum perfekt eingepasst, Jonas Julian Niemann hat für das Stück einen atmosphärischen Soundtrack am Laptop gezaubert.
Und dann ist da noch ein märchenhafter Fisch (Lilly-Marie Vogler), der sich zunächst als Gräten-Gerippe auf dem Esstisch der Familie wiederfindet, gleichzeitig aber mit glitzerndem Schuppen-Pailletten-Kostüm seinen jungen Jäger verzaubert und ihn schließlich in die ewigen Jagdgründe des Meeres entführt. Jonas findet nämlich doch wieder seine Stimme, singt mit sichtlicher Verunsicherung einen Song von Ton Steine Scherben („Der Traum ist aus, aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird“) und verschwindet dann durch eine Bühnentür in den Tiefen des Salzwassers.
Langanhaltender und absolut verdienter Beifall für einen höchst originellen und aktuellen Text, für ein präzises Ensemble und für eine stets unterhaltsame und zugleich nachdenkliche Inszenierung.