Wenn der Enkel in der Familiengeschichte forscht

Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür

Theater:Schauspiel Stuttgart, Premiere:01.11.2024Regie:Sapir Heller

Am Schauspiel Stuttgart inszeniert Sapir Heller „Draußen vor der Tür“ über einen Kriegsheimkehrer und wie dieser mit den geschlossenen Türen umgeht. Dabei wird Wolfgang Borcherts Text mit einem Perspektivwechsel versehen, welcher die Wirkung der Handlung ändert.

Lässt sich jener Aufschrei, den Wolfgang Borchert 1947 als Kriegsheimkehrer mit „Draußen vor der Tür“ setzte, in dieser aufwühlenden Wirkung heute noch umsetzen? Diese Geschichte von Beckmann, den die Elbe wieder ausspie, führt auf verschiedenen Stationen vor, wie sich die Türen vor ihm verschließen: Da ist zunächst die Begegnung mit dem Mädchen, dessen einbeiniger Mann auftaucht und Beckmann an seine Schuld erinnert. Oder der Besuch beim Oberst, an dem er seine schuldhafte Verantwortung abtreten möchte oder der Versuch, im Kabarett eine Stellung als Künstler zu bekommen.

Als er endlich sein Elternhaus betritt, muss er erfahren, dass seine Eltern sich im Zuge der „Entnazifizierung“ selbst getötet haben. Beckmann bleibt – wie viele Heimkehrer seiner Generation – „draußen vor der Tür“. Sein Weg führt ihn in die Elbe, wenn da nicht das Mädchen und der „Jasager“ des „Anderen“ wäre, der mit leeren Phrasen ein positives Lebensgefühl vorgaukeln würde, was sich dann auch in der (mythologischen) Begegnung vom im 20. Jahrhundert überfressenden, rülpsenden Teufel und einem Gott führt, der von niemanden geliebt wird.

Draußen vor der Tür am Schauspiel Stuttgart

Simon Löcker (Beckmann), dahinter: Juri Kannheiser (Musiker), Sebastian Röhrle (Oberst), Teresa Annina Korfmacher (Mädchen), Boris Burgstaller (Gott), Tim Bülow (Kabarettdirektor), Anke Schubert (der Andere). Foto: Julian Baumann

Perspektivwechsel

Dass ein solches Stück, zudem mit seiner expressionistischen Zuwendung am Ende, Ende der vierziger und in den fünfziger Jahren – auch als Ausdruck einer nie wirklich gewordenen „Stunde Null“ – Furore machte, lässt sich leicht nachvollziehen. Aber ist es 2024 trotz Ukrainekrieg oder den Kriegshandlungen in Gaza – noch heute ein bedrängendes Stück? Am Schauspiel Stuttgart greift Sapir Heller bei ihrer Inszenierung von „Draußen vor der Tür“ zu einem dramaturgischen Trick: Sie lässt die Geschichte aus der Perspektive des Enkels von Beckmann, der sich mit 86 Jahren in die Elbe gestürzt hat, erzählen. Dieser findet einen Koffer, darin ein verschlissener Wehrmachtsmantel, die berühmte Gasmaskenbrille und eine goldene Adlerbrosche, die dann zum Vorbild des Bühnenbildes wird. Weil er so wenig von der Familie weiß, steckt er plötzlich inmitten der Geschichte seines Großvaters.

Diese wird linear so nacherzählt, wie sie bei Borchert steht. Der einzige größere Eingriff in die Textstruktur ist die Verlegung des (stark gekürzten) Vorspiels zwischen Gott und Tod an das Ende – auch als Folge des Perspektivwechsels. Was als schlüssige Möglichkeit erscheint, bedeutet jedoch Distanzierung: die Handlung kann nicht mehr unmittelbar wirken. Betont wird diese von der Bühne, die Valentina Pino Reyes entworfen hat: Über ein paar Showstufen waltet ein riesiger Adler, unter seinen Flügeln verbirgt er eine Showbühne mit goldenen Glitzervorhang. An der Seite sitzt ein Musiker (Alexander Vicar), der zusammen mit Juri Kannheiser die Musik komponiert hat. Die Begegnungen mit den Anderen wird so zur Kabarettshow mit Songs, die das „Positive“ des Lebens betonen, wie Sebastian Röhrle als Oberst, Tim Bülow als Kabarettdirektor oder Teresa Annina Korfmacher als Frau Kramer singend betonen.

Das Spiel des Ensembles

Zu Beginn sitzt Simon Löcker als Beckmann auf den Kopf des Adlers und erzählt die Vorgeschichte. In seinem Spiel changiert er zwischen seinem Ich und dem seines Vorfahren. Sapir Heller deutet das mit wenigen Eingriffen an. So trägt er nie die Gasmaskenbrille, sondern zieht sie, wenn es szenisch notwendig wird, aus der Hosentasche. In seinem Spiel bleibt schillernd, wie stark seine Identifikation mit dem Großvater ist. Sein Alter Ego „Der Andere“ wird fast mütterlich warmherzig von Anke Schubert dargestellt. Allerdings verliert sie ihre Rolle als „Jasager“ an die Kabarettsongs, die das „Positive“ betonen. Sebastian Röhrle als rülpsender Tod mit Müllsack und Boris Burgstaller als gebrochener, ungeliebter Gott vervollständigen das glänzend aufspielende Ensemble.