Foto: Szene mit Peer Oscar Musinowski (Ulrich Baader), Christiane Roßbach (Andreas M. Steeg), dahinter stehend: Reinhard Mahlberg (Tänzer Mandel), Michael Stiller (Rudolf Böttcher), Marco Massafra (Ricardo Cornwald), Valentin Richter (Emre Kuşburnu) und Gabriele Hintermaier (László Arinach), © David Baltzer
Text:Manfred Jahnke, am 20. Januar 2024
Mit der Auftragsarbeit von Nis-Momme Stockmann inszeniert Herbert Fritsch einen satirischen, tragischen und überzeichneten Abend. Stockmanns Stück „Das Portal“ hinterfragt die Position des Autors im Theater. Fritsch schaffte es dabei die Balance zu halten.
Eine Paarung, die bisher schwer vorstellbar war: Herbert Fritsch inszeniert ein Stück von Nis-Momme Stockmann. Und was für ein Text der Autor geschrieben hat! „Das Portal“, eine Auftragsarbeit für das Stuttgarter Schauspiel, ist eine satirisch-groteske Farce über das Theater. Stockmann greift tief in die Kiste der Theaterklischees. Fritsch bedient diese mit Wonne und doch entsteht kein bloßer Klamauk-Die Aufführung hat einen ernsten Hintergrund: der Umgang mit dem Autor im Theater.
Am Anfang ist die Bühne bis auf ein (rollbares) Podest mit einem Klavier leer. Im Dunkel tritt Sebastian Blomberg als Intendant Elias Geldoff auf und fordert das Publikum auf, sich ein Portal zu imaginieren. Auch nach diesem Monolog bleibt die Bühne leer. Einzig Lichtprojektionen von geometrischen Formen – ein roter Kreis, Halbkreise, Rechtecke von verschiedener Größe – auf den Bühnenboden und die schwarze Rückwand, sowie viele Lichteffekte markieren den Raum (Bühne wie immer von Herbert Fritsch selbst). Der so gestaltete Raum wird zum wichtigen Mitakteur. Er reagiert bildhaft auf die Katastrophen: Wenn Blitze grell den Raum aufreißen und Charlie Casanova auf das Klavier einhämmert, dann beginnen auch die geometrischen Formen an zu „tanzen“. Katastrophen gibt es da reichlich: ein Nebenflügel des Gebäudes brennt, Gewitter und Sturm toben, Möglichkeiten für tolle Lichteffekte gibt es viele.
Hervorgehoben künstlich
Die Menschen auf der Bühne tragen alle Perücken, die die Künstlichkeit dieser Figuren betonen. Die Kostüme von Bettina Helmi heben karikierend die einzelnen Berufsfelder hervor. Sie wirken wie Puppenkleidung, Taschen, Krawatten oder andere Accessoires sind appliziert, ein Narrenkostüm für die Musikerin ist auch darunter. Geschickt arrangiert Fritsch mit diesen bildnerischen Elementen ein körperbetontes Spiel: da zucken die Körper, da findet jeder Spieler seinen „Tick“ und alle formen eine gemeinsame Choreografie, um den eigentlich leeren Raum mit Geschichten zu füllen.
Das Manuskript des Autors ist bereits auf der Bühne verteilt. Foto: David Baltzer
Drei Hauptstränge entwickelt Nis-Momme Stockmann in seinem Text: Zum einen entwickelt er räumlich seine Geschichte von der Bühnenpforte bis in die Höhen des Intendantenbüros. Dabei werden Bühne, Probebühne und Besenkammer (Ort heimlicher Dramaturgiesitzungen) als Handlungsorte nicht ausgelassen. Zum anderen entwickelt er eine klassische Intrige, die der Chefdramaturg Ivan Eisenstern, dem Sebastian Röhrle starke aasige Töne gibt, und dem Intendanten. Geldoff steht kurz vor seiner Vertragsverlängerung, seine Bilanz ist nicht gut. Er setzt alles auf die kurz vor der Premiere stehenden Inszenierung des jungen postdramatischen Erfolgsregisseurs Emre Kusburnu (Valentin Richter). Die aber möchte Eisenstern zu einem Flop machen. Das Verhältnis der Beiden ist herzlich, wenn sie sich begegnen, greifen sie sich gegenseitig in die Nasenlöcher oder sie knuffen sich. Die Bilder, die Fritsch findet, sind drastisch.
In den Tiefen des Theaters
Running Gags bestimmen die Aufführung. Sebastian Blomberg als abgehobener Intendant kontrolliert in der Höhe schwebend unter Blitzen die Bühne. Ein DHL-Bote, der ein Paket zuzustellen hat, hetzt durch das Haus, bis er am Ende zusammenbricht. Charlie Casanova gibt ihm verzweifelte Züge. Im Zentrum der Handlung steht der Autor Ricardo Cornwald. Marco Massafra gibt ihn anfangs als Mann von außen, der eher neugierig auf das schaut, was um ihn herum passiert – solange er noch beim Portier (souverän: Michael Stiller) ist. Je mehr er in die Tiefen des Theaters eindringt, um so verzweifelter wird er. Am Ende bricht er zusammen, als er erfährt, dass Geldoff seinen Text um 44 % gekürzt und Eisenstern alles auf drei Blätter verknappt hat. Eine Windmaschine wirbelt die Manuskriptblätter durch die Luft und Intendant und Chefdramaturg bemühen sich, den Autor aus seinen Ohnmachtsanfällen zu holen.
Fritsch stimmt das spielfreudige Ensemble auf ein hohes Spieltempo ein. Gabriele Hintermaier spielt den eifersüchtigen Regisseur Lázló Arinach und Marietta Meguid ist eine Inspizientin mit Laienspielhintergrund. Peer Oscar Musinowski und Christine Roßbach zwei Schauspieler, die sich auf Grund des gleichen Rollenprofils bekriegen, in den Rollen als Dramaturgen dienern sich ihrem Chef an. Reinhard Mahlberg spielt mehrere Rollen vom Tänzer Mandel bis hin zum Obinori, einem Medium, das am Ende erscheint. Einen starken Auftritt hat Celina Rongen als junge Schauspielerin, die zum Vorsprechen erscheint und sich mit dem Autor solidarisch erklärt. Und nach ihren Erfahrungen eine Brandrede über die Männer am Theater hält.
Kunst der Balance
Stockmann hat ein Stück voller Dialogwitz über die gängigen scheinintellektuellen Fachjargons geschrieben, ein Stück aber auch, das von der Farce in das Tragische abzustürzen droht. Fritsch hält diese Balance und erhöht damit die Komik. Am Ende, nachdem die Naturgewalten das Theater bedrohen, erscheinen schwarzvermummte Männer, die die Bühne aufräumen, die Manuskriptblätter aufsammeln und ein Gitterwagen hereingefahren. Das Ensemble (auch der Autor) wird hineingepfercht und nach hinten gerollt. Dann erscheint der Obinori in die Einsamkeit des Intendanten. Das Licht erlischt und zum langen Schlussbeifall repräsentiert sich das Ensemble als Spieluhr, wobei jede Figur noch einmal ihren typischen Körpertrick zeigt.