Szene aus "Farm der Tiere"

Schweine, Krieg und Macht

George Orwell: Die Farm der Tiere

Theater:Schauspiel Stuttgart, Premiere:27.04.2024Vorlage:nach dem gleichnamigen RomanRegie:Oliver Frljić

Am Schauspiel Stuttgart kommt George Orwells parabelhafte Geschichte „Farm der Tiere“ aus dem Beginn des Kalten Krieges ganz zeitlos auf die Bühne. Die zahlreichen starken Bilder lassen leider wenig Raum für Gedanken aus dem Publikum.

Als George Orwell den Roman „Farm der Tiere“ im Jahr 1945 niederschrieb, konzipierte er diese Geschichte von einem Aufstand der Tiere gegen die unterdrückenden Menschen als Parabel über den Stalinismus. Aber das Märchen von den Schweinen, die am Ende doch gleicher sind als die anderen Tiere, weist weit über diese historische Perspektive hinaus. Oliver Frljić, der diesen Stoff am Schauspiel Stuttgart in Szene setzt, knüpft genau an diesem Punkt an. Er erzählt die Geschichte von der Revolution der Tiere – zumindest zu zwei Dritteln – nach, aber löst sie in seinen Bildern vom historischen Kontext ab.

Denn ihn interessiert weniger der Vermenschlichungsprozess der Schweine, sondern es geht um die Frage der Macht beziehungsweise deren Missbrauch. Insbesondere das Wesen des Kriegs rückt er ins Zentrum: Was einmal zur eigenen Absicherung diente, wird nun zum Mittel der Vernichtung des Anderen. Nach dem Genozid an den Hühnern, die sich weigern, ihre Eier an Menschen abzuliefern, heißt es: „Je grausamer der Krieg ist, um so schneller ist er vorbei.“ Die Bezüge zu gegenwärtigen Kriegen drängen sich auf, ohne dass sie in der Aufführung explizit genannt würden.

Eine schmale hohe, pinke Wand steht auf einer sonst leeren Bühne. Davor stehen Menschen, die die Arme in die Luft werfen.

Die Inszenierung von „Die Farm der Tiere“ lebt von (zu) vielen Bildern. Foto: Björn Klein

 

Berühmter Roman beleuchtet

Frljić arbeitet in seinen Inszenierungen mit starken Bildern: Die Schweine brauchen in Stuttgart zu ihrer Repräsentation einen alten Mercedes. Die Windmühle, die bei Orwell eine große Bedeutung hat, wird hier durch die Freiheitsstatue symbolisiert. Das macht Sinn, weil die Tiere immer wieder in einen Diskurs über Freiheit geraten und von den Schweinen niedergebügelt werden.

Ansonsten ist die Bühne von Igor Pauška leer. An der Seite stehen ein paar Gatter herum, die Atmosphäre schaffen. Wichtiger ist das Licht von Jörg Schuchhardt – mit Gegenlichtblenden, Blitzen und Gassen, die mit Neonröhren geschaffen werden. Am Ende dann fallen die Tiere mit Messern über Napoleon her, den Schweineanführer, den Julian Lehr aasige Züge gibt. Ein Schweinekadaver wird hereingefahren: Die Revolution frisst ihre Kinder und startet eine neue. Im Blackout bleibt die Frage offen, welche Wendung diese nehmen wird …

Bilder-Theater auf Distanz

Pia Maria Mackert hat für die Tiere Kostüme aus Fatsuits geschaffen. Sie spielt mit kleinen realistischen Details (wie Federn bei den Hühnern), um eine Wiedererkennung zu ermöglichen. Diese Wechsel zwischen grotesken und realistischen Momenten bestimmen auch die Choreografien von Andrea Krolo zu einer spannenden Musikauswahl, in der harte Beats dominieren.

Dennoch bleibt die Inszenierung in Stuttgart merkwürdig fern. Sie rast von Bild zu Bild und lässt kaum die Möglichkeit mit eigenen Fragen nachzuhaken, obschon ein starkes Bild nach dem andern folgt. Das beginnt mit dem ersten Bild, in dem Boris Burgstaller als sterbender Old Major einen Sarg mit dem Staubsauger reinigt, um dann seine Unabhängigkeitserklärung der Tiere zu verkünden.

Auf einer dunklen leeren Bühne stehen sich zwei Gruppen in Kostümen in er einer Reihe gegenüber.

Menschen, die Tiere spielen – in Stuttgart ein wunderbarer Wechselspiel dank Kostümen und Choreografie. Foto: Katrin Ribbe

 

Überzeugende Tierdarstellung in Stuttgart

Nach dem eher spontanen Überfall auf ihren Bauern Jones fühlt sich Napoleon als rechtmäßiger Nachfolger im Konkurrenzkampf mit Schneeball, dem Ideologen, dem Valentin Richter im Wechsel sanfte und harte Töne gibt. Er verschwindet dann, gehetzt von den Hunden Napoleons, und eignet sich hervorragend als Feindfigur. Das Schweine-Trio ergänzt Hannah Müller als Quieker, die zwischen Napoleon und den Tieren vermittelt, rhetorisch geschult, mit gewinnbringendem Lächeln die Tiere immer wieder betörend.

Für die Vertreter der einzelnen Tiergruppen hat die Regie in Stuttgart artifizielle, wie signifikante Formen gefunden. Wie Felix Jordan als unermüdliches Pferd Boxer, Mina Pecik als Stute Klee, Gabriele Hintermaier als Ratte für ihre Existenz eintritt, Karl Leven Schroeder als Sprecher der Hühner oder Gábor Biedermann als Esel Benjamin spielen, sind kleine Kabinettsnummern.