Denn ihn interessiert weniger der Vermenschlichungsprozess der Schweine, sondern es geht um die Frage der Macht beziehungsweise deren Missbrauch. Insbesondere das Wesen des Kriegs rückt er ins Zentrum: Was einmal zur eigenen Absicherung diente, wird nun zum Mittel der Vernichtung des Anderen. Nach dem Genozid an den Hühnern, die sich weigern, ihre Eier an Menschen abzuliefern, heißt es: „Je grausamer der Krieg ist, um so schneller ist er vorbei.“ Die Bezüge zu gegenwärtigen Kriegen drängen sich auf, ohne dass sie in der Aufführung explizit genannt würden.
Berühmter Roman beleuchtet
Frljić arbeitet in seinen Inszenierungen mit starken Bildern: Die Schweine brauchen in Stuttgart zu ihrer Repräsentation einen alten Mercedes. Die Windmühle, die bei Orwell eine große Bedeutung hat, wird hier durch die Freiheitsstatue symbolisiert. Das macht Sinn, weil die Tiere immer wieder in einen Diskurs über Freiheit geraten und von den Schweinen niedergebügelt werden.
Ansonsten ist die Bühne von Igor Pauška leer. An der Seite stehen ein paar Gatter herum, die Atmosphäre schaffen. Wichtiger ist das Licht von Jörg Schuchhardt – mit Gegenlichtblenden, Blitzen und Gassen, die mit Neonröhren geschaffen werden. Am Ende dann fallen die Tiere mit Messern über Napoleon her, den Schweineanführer, den Julian Lehr aasige Züge gibt. Ein Schweinekadaver wird hereingefahren: Die Revolution frisst ihre Kinder und startet eine neue. Im Blackout bleibt die Frage offen, welche Wendung diese nehmen wird …
Bilder-Theater auf Distanz
Pia Maria Mackert hat für die Tiere Kostüme aus Fatsuits geschaffen. Sie spielt mit kleinen realistischen Details (wie Federn bei den Hühnern), um eine Wiedererkennung zu ermöglichen. Diese Wechsel zwischen grotesken und realistischen Momenten bestimmen auch die Choreografien von Andrea Krolo zu einer spannenden Musikauswahl, in der harte Beats dominieren.
Dennoch bleibt die Inszenierung in Stuttgart merkwürdig fern. Sie rast von Bild zu Bild und lässt kaum die Möglichkeit mit eigenen Fragen nachzuhaken, obschon ein starkes Bild nach dem andern folgt. Das beginnt mit dem ersten Bild, in dem Boris Burgstaller als sterbender Old Major einen Sarg mit dem Staubsauger reinigt, um dann seine Unabhängigkeitserklärung der Tiere zu verkünden.
Überzeugende Tierdarstellung in Stuttgart
Nach dem eher spontanen Überfall auf ihren Bauern Jones fühlt sich Napoleon als rechtmäßiger Nachfolger im Konkurrenzkampf mit Schneeball, dem Ideologen, dem Valentin Richter im Wechsel sanfte und harte Töne gibt. Er verschwindet dann, gehetzt von den Hunden Napoleons, und eignet sich hervorragend als Feindfigur. Das Schweine-Trio ergänzt Hannah Müller als Quieker, die zwischen Napoleon und den Tieren vermittelt, rhetorisch geschult, mit gewinnbringendem Lächeln die Tiere immer wieder betörend.
Für die Vertreter der einzelnen Tiergruppen hat die Regie in Stuttgart artifizielle, wie signifikante Formen gefunden. Wie Felix Jordan als unermüdliches Pferd Boxer, Mina Pecik als Stute Klee, Gabriele Hintermaier als Ratte für ihre Existenz eintritt, Karl Leven Schroeder als Sprecher der Hühner oder Gábor Biedermann als Esel Benjamin spielen, sind kleine Kabinettsnummern.