Foto: Kei Muramoto, Nicolas Streit, Benjamin Höppner, Henri Mertens und Sinan Güleç in „Der König stirbt“ © Markus. J. Bachmann
Text:Detlev Baur, am 9. November 2024
Eugène Ionescos Groteske „Der König stirbt“ erscheint heute vielleicht aktueller als bei der Uraufführung vor über 60 Jahren. Ein in die Jahre gekommener Alleinherrscher stirbt trotz aller Ausweichmanöver. Der Kölner Inszenierung von Paula Pohlus gelingt es weitgehend, die Brisanz der Vorlage klug in Szene zu setzen.
Im Online-Archiv des Spiegel findet sich ein Artikel aus dem Jahr 1963 über die deutschen Erstaufführungen zum neuen Stück des damals in Deutschland viel gespielten Autors. Der Ionesco-Hype auf deutschen Bühnen war da offenbar schon deutlich überschritten. Da ist die Rede von allzu „undramatischem, belanglosem Gerede“. Und tatsächlich geht es in „Der König stirbt“ über anderthalb Stunden allein um das sich hinziehende Sterben des Herrschers.
Der negiert seinen nahen Tod und kann ihm doch nicht entkommen. Formal etwas unentschieden mäandert der Dialog des machtlosen Patriarchen mit Dienerin, Arzt, Gattin sowie Ex-Gattin zwischen psychologischer Studie der allzumenschlichen Verdrängung („Ich bin einfach ausgerutscht. Das kann vorkommen.“) und theatraler Allegorie à la „Jedermann“, aber auch einer Performance des kreatürlichen Niedergangs („Sie haben nur noch eine Stunde Zeit.“)
Renaissance des absurden Theaters
In den letzten Jahren erfreuen sich „Die Nashörner“, Ionescos Allegorie auf den schleichenden, eskalierenden Wechsel einer Gesellschaft in totalitäre Strukturen, zunehmender Beliebtheit – aus guten Gründen: Der pessimistische, allgemein gehaltene Blick des rumänisch-französischen Dramatikers wird von unserer gesellschaftlichen Realität bestätigt. „Der König stirbt“ hat nun gerade am Ende einer außerordentlichen Woche Premiere: Sie bescherte uns einen neuen alten, mit einem überreichen Ego gesegneten Präsidenten in den USA, und im direkten Anschluss die Auflösung der Bundesregierung, um deren endgültigen Exitus jedoch weiter verbissen gerungen wird.
Da braucht es kaum einer Anspielung auf des Finanzministers „Schuldenbremse“, um die brennende Aktualität des über 60 Jahre alten Textes zu verdeutlichen. Fast scheint es, als habe Ionesco unseren zunehmend dysfunktional erscheinenden Staat, der mit einer dauerhaft verödenden Umwelt einhergeht, vorausgesehen. Dabei hat er einfach die existenziellen menschlichen Schwächen vergrößert, und dabei nicht auf damals aktuelle politische Entwicklungen angespielt. Das macht heute die Stärke wie damals die vermeintliche Schwäche des Stücks aus.
In der Inszenierung der jungen Regisseurin Paula Pohlus wird daraus, völlig im Einklang mit der Textvorlage, eine Sezierung der patriarchalen Gesellschaft. Im Todeskampf erkennen die Sterbebegleiter im sterbenden König Behringer den Gründer von Städten von Rom bis Genf, den Autor der „Ilias“ und den Erfinder der Eisenbahn. Benjamin Höppner ist ein so sympathisch grummelnder wie kindisch aufbrausender alter Mann, ein egozentrischer Ignorant der Lage. So gelingt der Inszenierung die Verbindung von akutem Wähler- bzw. Politikversagen mit historischer Abrechnung des Patriarchats und eine Verbindung all dessen mit der konkreten Gestalt des Protagonisten.
Charakterstudie eines Patriarchen
Allerdings bedarf es etwas Anlaufs ins Exerzitium des Untergangs: Die Bühnenkonstruktion von Aline Larroque mit Glaswänden im Depot 2 schafft einen uneindeutigen Sterberaum, der rote Vorhang und der rote Riesenstrampler des Königs (Kostüme: Clara Maria Bohnen) setzen da nur punktuell Akzente. Auch erschließt sich die Besetzung mit einem männlichen Ensemble (Sinan Güleç als Arzt, Kei Muramoto als Dienerin, Henri Mertens als Ex-Königin und Nicolas Streit als Gattin) nicht unbedingt. Zunehmend gelingt es jedoch, allen ein Profil im mitfühlenden, aber auch unerbittlich auf das Ende drängenden Begleitpersonal des Auslaufsmodells König zu zeigen. Wenn Höppner auf einer großen grauen Weltkugel melancholisch singend sich dem Ende entgegenpendelt oder den Thron ausleihend endlich das Leben der Dienerin (Kei Muramoto) zur Kenntnis nimmt, entstehen eindrückliche Szenen und Bilder.
Am Ende verschwinden alle in den Bühnenhintergrund, der rote Vorhang, auch die seitlichen Vorhänge vor den Wänden der Halle sind beiseite gezogen, und der König sitzt in Unterhose am Rand. Er ist weg. Oder ist sein Sterben noch gar nicht zu Ende?