Theater hinterfragt den Literatur-Kanon
Klar, dass die israelische Regisseurin mit dem Faible für Show und Musical das nicht bierernst durchdekliniert. Sie spielt den Diskurs lieber als hochvergnügliche Komödie. Und die saust 90 Minuten lang wortreich durch Zeiten, Räume und Befindlichkeiten. Prima aufgehoben zwischen herrlich flirrigen Fadenvorhängen, mit denen Bühnenbildnerin Evi Bauer Räume herstellt und auflöst, so offen transparent wie verhüllend unklar. Und auch als irritierende Projektionsfläche spielen die Vorhänge mit.
Was in dem abstrakten Setting sonst passiert, ist nicht leicht zu durchschauen. Besser also, man lässt die Bilder wirken, ebenso wie die Virtuosität des Ensembles. Das spielt – verstärkt vom dauertelefonierenden Regieassistenten, von Bühnenarbeitern, Inspizienten – erstmal sich selbst, wie sie in einer ungefähren Gegenwart herumirren. Dann eine Schauspieltruppe, die – zusammengepfercht vom „SEK Kommunikation Zukuft“ – höchst konspirativ ein Stück probt, in dem sich ein zeitreisender Lektor in alles, was die Literaturgeschichte seit Sokrates, ach was, seit der Bibel zu bieten hat, einmischt. Immer im guten Glauben an die weltrettende Kraft der Kunst.
Wunderbares Ensemble in Hamburg
Da prallen die Eitelkeiten und Konkurrenzen des Ensembles und des Figurenarsenals produktiv aufeinander. Und vor allem Tim Porath, gerade noch als SEK-Mann Lutz auf der Bühne, zieht als besserwissender Lektor und großer Manipulator eine wunderbare, unverschämte Show ab.
Die allerdings wäre kaum möglich ohne die herrlich verpeilten Figuren aus dem fast realen Literaturbetrieb: André Szymanski als Autor mit großer Schreibblockade und noch größerer Selbstüberschätzung, Maja Beckmann als Verlegerin lavierend zwischen Kunst und Gewinnstreben und Nils Kahnwald als besserwissender Erzähler, der sich souveräner gibt als er ist. So schwirren sie durch die Schichten des Stücks, die so angenehm wie unübersichtlich verfließen. Und dass sie nebenbei auch noch als Lampe, Zimmerpflanze oder Karl Marx (Nils Kahnwald) im Einsatz sind – geschenkt.
Wie weiter mit dem Theater?
Sie spielen Schmiere, Impro-Theater und Sci-Fi, lassen den Abend schillern zwischen Groteske und Gesellschaftsstück. Und dazwischen verlaufen sich die Ensemble-Mitglieder und Publikum, begleitet vom fluffigen Soundtrack von Yaniv Friedel und Ofer Shabi, zielstrebig im Dickicht der Erzählschichten und Narrative. Aber auch die Regisseurin kann mit der Jonglage von Realität und Fiktion nicht immer mithalten. Was anfangs aussieht wie der trickreiche Entwurf einer Endlosschleife variierender Realitäten driftet irgendwann ins eher konventionell-klassische Verwirrspiel.
Dass hier eigentlich die Zukunft spricht, hatte man fast schon vergessen, als sie zum guten Schluss nochmals zu Wort kommt und eindringlich an die Verantwortung der Einzelnen appelliert. An den, der die Botschaft in die Welt trägt und sie prägt. Drohung oder Heilsversprechen – das weiß man nicht so genau. Der Lektor mag am Ende des marshmallow-luftigen Abends festgestellt haben, dass die Macht von Literatur und Kunst begrenzt ist. Weiterzumachen gilt es trotzdem.