"Hochdeutschland" an den Münchner Kammerspielen

In Schaumgebirgen

Alexander Schimmelbusch: Hochdeutschland

Theater:Münchner Kammerspiele, Premiere:24.05.2019 (UA)Vorlage:HochdeutschlandAutor(in) der Vorlage:Alexander SchimmelbuschRegie:Kevin Barz

Die Bühne ist bedeckt von hohen Schaumbergen. Neonröhren im Hintergrund leuchten eine Jahreszahl: 2017. Auch eine Nachrichtenstimme aus einem Lautsprecher verortet das Setting in der jüngsten Vergangenheit: Panama und Paradise Papers, Merkels Ansichten zum Flüchtlingsrecht, „Despacito“ stürmt die Charts. Zeynep Bozbay, Jannik Mioducki, Abdoul Kader Traoré und Julia Windischbauer laufen weiß gekleidet und mit in Folie geschweißten Mänteln in den Schaum-Raum, schwingen weiße Fähnchen und deklamieren politische Slogans, „alternative Wirklichkeiten“. Und schon ist man mittendrin in Kevin Barz’ kongenialer Inszenierung von Alexander Schimmelbuschs Roman „Hochdeutschland“ an den Münchner Kammerspielen.

„Hochdeutschland“ ist ein Blick von oben nach unten, was ihn von den meisten Entwicklungsromanen unterscheidet. Und doch ist er einer: Schimmelbusch erzählt von Victor, Profiteur des Kapitalismus, millionenschwerer Investmentbanker, der sich nach Mehr sehnt. Mehr Authentizität in einer Gesellschaft, in der Vapiano einem vorgaukeln will, italienische Lebensart to go zu verkaufen. Mehr Inhalt, mehr Gefühl und mehr Gerechtigkeit. Seine Entwicklung ist keine von unten nach oben, sondern setzt ein, als er bereits auf dem vermeintlichen Zenit angekommen ist: 10 Millionen Jahresgehalt. Mehr geht schwer. Zumindest materiell. Geld spielt keine Rolle für Victor, wohl aber das Bewusstsein, dass „seine Privilegien nicht zu rechtfertigen“ sind. Vielleicht schreibt er deshalb aus Langeweile und einer Laune heraus das Manifest einer neuen Gesellschaftsordnung, die private Vermögen begrenzt und mehr Gleichberechtigung anstrebt, während er im Adlon auf seine Peking-Ente wartet.

Ein Versuch, die Leere seines Lebens zu übertönen, die in der Theaterfassung noch verstärkt wird. Hier beschränkt sich sein Privatleben – anders als in der Vorlage – auf die fragwürdige Begegnung mit der Masseurin Valezka im Spa des Adlon, die wohl betont, dass das Sexuelle „nicht der eigentliche Sinn und Kern der taoistischen Massage“ sei, aber durchaus bereit ist, dieses Protokoll „flexibel“ zu interpretieren.

Das Ensemble springt erzählend von einer Rolle in die andere, zeichnet witz- und temporeich das Bild einer materiell übersättigten und ideell wie spirituell darbenden Oberschicht. Mal chorisch, mal einander ablösend tragen sie die dichten Texte vor, die nah an der Vorlage bleiben. Bozbay wächst als Finanzminister über sich hinaus, windet sich ob dessen „schmutzigen Geheimnisses“, seines „unkeuschen Traums“ vom Ferrari-Fahren in Italien, denn: „Ferrarifahren? Das geht nur in Italien.“ In Deutschland sei das nur Inhabern von Erotikcentern oder Wurstfabrikanten möglich.

Zu den zarten Klängen, die Sachiko Hara dem Flügel im Hintergrund der Schaumberge entlockt, übt das Ensemble Kritik an einem Deutschland, in dem „von einer Leistungsgesellschaft keine Rede mehr“ sein könne, ebensowenig wie von Verteilungs- oder Chancengerechtigkeit. Auf ihren Hockern rücken sie ganz nah ans Publikum und tragen ihr beziehungsweise Victors Manifest vor, diese „weißen Ritter“ der „Deutschland AG“, die Wohlstand für alle predigen. Barz stellt das Politisch-Gesellschaftliche in den Vordergrund, das Private kürzt er. Dass er Victor seiner Ex-Frau samt Tochter beraubt hat, ist jedoch kein Manko. Es verstärkt eher das Bild eines auf Profit getrimmten Lebensentwurfs, der auf seinem Höhepunkt an Anziehungskraft verliert und von einer existentiellen Leere eingeholt wird.

Wenn es droht, zu thesenhaft zu werden, lässt Barz das Ensemble die Schaumkanone anwerfen und alles in einer wilden Schaumschlacht ausarten. Dazu ertönen immer wieder Politiker-Phrasen wie die Soundkulisse des 21. Jahrhunderts aus den Lautsprechern. Der Schaum nun, der das Bühnenbild von Manuel La Casta bestimmt, ist ein grandioses Spiel-Mittel, aber auch Sinn-Bild für die Bänker-Stadt Frankfurt, die „keinen Eindruck außer den von Sauberkeit“ hinterlässt. Diese Bühne ist gleichsam Material, die Schauspielerinnen und Schauspieler pusten den Schaum wie Geld von ihren Händen in die Welt. Ins Glas geschaufelt wird er zum Schaumwein. Auf den Kostümen lagert er sich ab wie Spuren ihres Handelns. Auf die Ohren geschmiert, dient er als Ohrenschützer und Taubmacher, will man das Reden der anderen lieber nicht hören. Unter den Schaumgebirgen verbergen sich Hocker, die erlauben, beim Heben der Beine förmlich auf ihm zu schweben wie auf einer Wolke oder in einem Luftschloss. Einer Parallelwelt, einer Illusion. Gegen Ende, als Victor sein Roman-Manuskript präsentiert, mit dem er endlich hofft, der Welt etwas Fundamentales anbieten zu können, spritzt Julia Windischbauer als Lektorin den Roman – ebenfalls eine Schaumschlägerei – ganz einfach mit dem Gartenschlauch weg. Es bleibt eine glänzend saubere Oberfläche. Ohne Spuren derer, die über sie gegangen sind.