Foto: © Arno Deciair
Text:Erik Zielke, am 1. Dezember 2024
Thomas Ostermeier hat an der Berliner Schaubühne Maja Zades neuestes Konversationsstück „changes“ in Starbesetzung zur Uraufführung gebracht. Anna Schudt und Jörg Hartmann brillieren auch da, wo Text und Inszenierung eher glanzlos bleiben.
Unbekannte sind diese zwei an der Schaubühne am Lehniner Platz keinesfalls. Anna Schudt war bereits um die Jahrtausendwende Mitglied im Ensemble; Jörg Hartmann war mit Unterbrechung hier seit derselben Zeit fest als Schauspieler beschäftigt. Einem breiteren Publikum sind sie ohnehin als langjähriges Ermittlerteam aus Dortmund für die Kultkrimiserie „Tatort“ vertraut. Nun stehen die beiden, seit dieser Spielzeit erneut als Ensemblemitglieder, für die Uraufführung von Maja Zades neuestem Stück „changes“ in Berlin-Wilmersdorf gemeinsam auf der Bühne und sorgen für ein willkommenes Staraufgebot. Die Regie hat der künstlerische Leiter der Schaubühne Thomas Ostermeier selbst übernommen.
Rollenverwandlungen
Anna Schudt verkörpert die gehetzte Berufspolitikerin Nina. Aber im Laufe dieses zweistündigen Theaterabends begegnet sie uns auch als rustikaler texanischer Schuldirektor und als die eine oder andere Lehrerin, wird zur trockenen Alkoholikerin Lotti auf der Suche nach körperlicher Nähe und schlüpft in die Rolle verschiedener Kinder.
Jörg Hartmann gibt auf der Bühne Ninas Mann Mark, mit dem sie seit über 20 Jahren liiert ist. Er hat seine Karriere als Anwalt aufgegeben, um sich als Lehrer selbst neu zu finden. Mark ringt nicht nur mit seiner neuen Aufgabe, sondern auch mit seinem Alkoholismus. In Maja Zades Szenenreigen bleibt es für Hartmann nicht bei dieser einen Rolle: Im schnellen Wechsel spielt er auch Ninas Mitarbeiter Ben, ihren distanzlosen Vater, den Mitarbeiter in einem Frauenhaus wie auch eine dort untergebrachte Frau, die skrupellose Unternehmerin Anna Baur und die entnervte Friseurin Nicole, nicht zuletzt einen Affen und einen Elefanten.
Temporeiche Aufführung
Dieses reiche Tableau von insgesamt 20 Figuren, die auf nur zwei Darsteller aufgeteilt sind, und die kurzen Szenen sorgen durchaus für eine temporeiche Inszenierung, in der Schudt wie Hartmann ihr spielerisches Können zeigen. Zade setzt ganz auf den vielsagenden Dialog. Nebenbei erzählen sich die Grundzüge einer Handlung: Der Politikerinnenberuf hat bei Nina längst die Grenzen ins Private überschritten. Überall, selbst am heimischen Küchentisch, wartet die Arbeit. Und natürlich korrespondiert dieser Beruf wohl in den meisten Fällen auch mit einem starken persönlichen Antrieb. Nina etwa ist der Kampf für die stärkere finanzielle Unterstützung eines Frauenhauses ein Anliegen, für das sie auch zur rigorosen Verhandlungspartnerin und geschickten Öffentlichkeitsarbeiterin wird. Auch ein Erpressungsversuch kann sie von ihrer Überzeugung nicht abbringen.
Konversationsstück im alten Stil: Nina (Anna Schudt) und Mark (Jörg Hartmann) sitzen am Robert Habeck’schem Küchentisch. Foto: Arno Deciair
Hinter Marks beruflicher Neuerfindung und seinem Rückfall in den Alkoholismus zeigen sich die tieferliegenden Sorgen des Paars. Drei Fehlgeburten mussten sie durchstehen. Nina kehrt in ihren strapaziösen Arbeitsalltag nahtlos zurück, während die Probleme unbearbeitet bleiben.
Die Schauspielstars alleine
Ostermeier inszeniert das Stück ohne doppelten Boden. Er setzt ganz auf seine Schauspielstars, lässt sie aber auch mit den Klischees und Banalitäten des Textes hilflos alleine. So entpuppt sich so mancher gut gespielte Dialog als eher unaufregendes Geplänkel. Die Darstellung von Kindern mit ihren weitreichenden Problemen, die Verkörperung einer Friseurin auf der Bühne sind heikle Angelegenheiten, besteht dabei doch immer die Gefahr, Personengruppen spöttisch auszustellen oder zur Parodie zu machen. Von dem Versuch, mit „changes“ einem erneuerten Sozialrealismus Rechnung zu tragen, bleibt an zu vielen Stellen ästhetisch und inhaltlich nur der aus dem Fernsehen bekannte Voyeurismus. Dazu passt auch bestens, dass das Stück weder in der Katastrophe noch in deren Abwendung endet, sondern mit einem gemütlichen und realitätsvergessenen Abend bei Netflix.