Von Trauma und Trost

Yael Ronen, Shlomi Shaban: Bucket List

Theater:Schaubühne, Premiere:09.12.2023 (UA)Regie:Yael RonenKomponist(in):Shlomi Shaban

Bekannt wurde die Regisseurin Yael Ronen 2008 an der Schaubühne. Damals brachte sie Israelis, Palästinenser und Deutsche der dritten Generation nach dem Holocaust zusammen. Jetzt kehrt sie zurück – mit der ersten künstlerischen Antwort auf den 7. Oktober. „Bucket List“ ist ein überwältigender Abend.

Dass die bittere Realität an den Türen der Schaubühne nicht Halt macht, zeigt sich am Security-Aufgebot. Es dürfen keine Taschen, keine Rucksäcke mit in den Saal gebracht werden, wenn die Premiere einer jüdisch-israelischen Regisseurin und eines ebensolchen Komponisten läuft.

Der Einbruch der Realität zeigt sich aber auch am Ende dieses Abends, der zu Recht mit Standing Ovations gefeiert wird. Der Komponist Shlomi Shaban gibt am Klavier mit dem ganzen Team eine herzergreifende Zugabe, die es nicht in die Inszenierung geschafft hat. Das Lied heißt: „Bucket List“. Von der Idee der „Bucket List“, den Dingen also, die man im Leben getan haben muss, ist allerdings nur noch der Titel des Musicals geblieben. Die Proben starteten nach dem 7. Oktober – und alle Pläne, so scheint es, fielen wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Ruinen der Realität

Diese Inszenierung, man spürt es sofort, ist aus den Trümmern gebaut, in die der 7. Oktober, ein Samstag, die Realität zerlegt hat. Damien Rebgetz spricht es zu Beginn aus: „On Saturday morning I woke up under the ruins of my former reality. And although everything felt familiar it was clear that everything had changed, beyond all recognition.” Es sind ähnliche Sätze, wie sie die Regisseurin Yael Ronen über sich selbst nach dem 7. Oktober schrieb, als sie die Vorstellungen ihres Stücks „The Situation“ über den Nahost-Konflikt am Maxim Gorki Theater absagen ließ.

Babystrampler, Mädchenkleider, Hochzeitsschleier fallen auf die Bühne. Foto: Ivan Kravtsov

Schon die ersten Bilder in „Bucket List“ sind nun ein Verweis auf den Krieg und seine Opfer. Auf die rabenschwarze Bühne segeln schneeweiße Stoffe herab – Babystrampler, Mädchenkleider, Hochzeitsschleier. Die Schauspieler:innen, ganz in Schwarz, tragen sie wie Leichen in ihren Armen. Derweil stimmt Ruth Rosenfeld ein mehrdeutiges, elegisches Lied vom Kriegsspiel an: „War sings, come along and sing with me. War plays and sings, come along and play with me.”

Bitter ironisch

Einen derart getragenen Ton hat man bei den Komödien-Spezialist:innen Shlomi Shaban und der Regisseurin Yael Ronen noch nie gehört. Bislang waren ihre gemeinsamen Arbeiten kluge, unterhaltsame, spritzige Debatten-Musicals („Slippery Slope“). Dabei enthalten sich die beiden jedes konkreten Kommentars zum Nahost-Konflikt. Sondern erfinden stattdessen eine symbolische Science-Fiction-Geschichte: Die Firma „Zeitgeist“ hat eine Methode gefunden, um die Menschen von ihren Traumata zu befreien. Sie löscht die Erinnerungen, kollektive und individuelle. Gegenwart für immer. Und da spielt das Musical dann bitter ironisch auf: So viele Kriege und Traumata gibt es auf der Welt, eine wahre Goldgrube!

Traumatabeseitigung

Aber „Zeitgeist“ steht natürlich nicht nur für eine Firma, sondern für die Zeit, in der wir leben. Und in der, so singen die vier Performer:innen, gibt es kein Dazwischen. Nur rechts und links. Das ist Ronens Gesellschaftskritik.

Doch gezeigt wird keine bissige Gesellschaftssatire, sondern ein Abend über Trauer und Erinnerung. Nebenwirkung der Traumata-Löschung ist nämlich das unkontrollierte Herumschwirren von Erinnerungssplittern. Moritz Gottwald und Carolin Haupt singen sich durch ihr Leben als Paar, von der Hochzeit übers Fremdgehen bis zum Erinnerungsberg, der ihm nach ihrem Tod bleibt. Zuletzt gibt Damien Rebgetz die traurige Ballade über die Vorstellungskraft, die niemand löschen kann: Was wäre gewesen wenn? Und was kann jetzt noch Hoffnung geben?

Eine überragende Gesangsperformance. Foto: Ivan Kravtsov

Wie handwerklich perfekt die Songs in der Bandbreite von Jazz, Tango, Rock und Pop-Balladen arrangiert sind, wie genial das Ensemble singt und mit der dreiköpfigen Band zusammenklingt – das ist ein Ereignis.

Trost der Kunst

Man könnte meckern, dass die Science-Fiction-Geschichte nicht recht trägt, dass manche Bilder allzu kitschig wirken. Aber das tritt zurück angesichts der so ehrlichen Ratlosigkeit von Shaban und Ronen beim Blick auf die Welt nach dem 7. Oktober. Diese Ratlosigkeit, die Trauer, die Erinnerung an die Toten, auf allen Seiten – all das verbindet die Menschen auf der Bühne mit den Menschen im Publikum. Dem Schweigen in der Kulturszene nach dem 7. Oktober setzt dieser Abend die Kraft und den Trost der Kunst entgegen. In der Gemeinschaft des Theaters. Das berührt ungemein. Da können einem auch die Tränen kommen.