Foto: Gestalten im Schattenspiel auf Kampnagel © Thomas Aurin
Text:Tim Sandweg, am 7. August 2014
August in Hamburg, Zeit fürs Internationale Sommerfestival auf Kampnagel. Draußen im Avant-Garten wird dieses Mal bei nullprozentiger Regenwahrscheinlichkeit das dreiwöchige Programm mit Sekt und Reden eingeleitet. Drinnen nehmen sich wenig später in der prominent besetzten Festivaleröffnungs-Premiere „The Shadow“, einer Koproduktion mit dem Schauspiel Köln, wo die Premiere am 11. September sein wird, der Komponist und Musiker Chilly Gonzales und der Regisseur Adam Traynor Hans Christian Andersens wenig sonniges Märchen vor. Ein kurzer Text, in dem sich der dänische Dichter und Weltenbummler die dunklen Abgründe und Unverständnisse der Künstlerexistenz von der Seele schreibt und den titelgebenden Schatten von dessen Herren trennt. Der Schatten, auf der Bühne bereits vor der Entzweiung ein recht asynchrones Exemplar, entwickelt schnell unbändige Freuden an der eigenen Menschwerdung, nachdem er der Poesie begegnet ist. Dank seines mephistophelischen Einschlags kommt er schnell zu Kleidung, Geld und Ruhm, schaut schließlich beim alten schattenlosen Herrn vorbei, der gerade mit seiner Schreibfeder Gassi geht, und nimmt ihn mit auf Kur-Urlaub.
Traynors und Gonzales Fassung hält sich recht nah an Andersens Märchen und zeichnet die wesentlichen Stationen nach. Ästhetischer Fixpunkt dieser Theaterversion ist unübersehbar Andersen Scherenschnitt-Manie und der Stummfilm des expressionistischen Zeitalters. Chilly Gonzales hat dafür einen perfekten Soundtrack geschaffen, den er am Klavier gemeinsam mit dem Kaiser Quartett & Friends in einem Zoetrop zentral in der Bühnenmitte thronend, zum Klingen bringt. Oszillierend zwischen zurückhaltender Untermalung, energetischen Akzentuierungen und motivischen Verschränkungen, zwischen Jazz, Filmmusikklassik und Gonzales‘ Solo Piano Eins und Zwei trifft die Musik so inklusive ironischem Dancebreak im Spa-Land und bedrohlichem Walzer den idealen Grat zwischen Hintergrundfolie, Unterstützung der Handlung und eigenständigem Werk.
Vor und hinter zwei Leinwänden, für die Bühne zeichnet Jens Kilian verantwortlich, sowie als weißgesichtige Schattengestalten agiert das vierköpfige Ensemble (Niklas Kohrt, Melanie Kretschmann, Sabine Perry und Philipp Plessmann) plus die kleine Statistencrew, stilsicher in Gehröcke gekleidet von Bengt Angelo Jensens Modelabel Herr von Eden. Es reist die Münder und Augen weit auf, wird von den Leinwandtexttafeln synchronisiert, ist mal im Schatten, dann wieder als Schatten zu sehen und gestikuliert wild über die Bühne. Traynors Bilder, die unter Beratung des Schattenkünstlers Philippe Beau entstanden sind, schaffen es aber trotz in sich geschlossener stilistischer Strenge leider nicht, der Musik etwas gleichermaßen kraftvoll-präzises entgegenzusetzen, bleiben erstaunlich brav und weit hinter der Eindringlichkeit von Murnau, Wiene, Lang, hinter der ästhetischen Brillanz, die Schattenspiel haben könnte, und hinter der poetischen Tiefe der Textvorlage zurück.
Und auch die gedanklichen Ansätze, die der Regisseur im Programmfaltblatt äußert, unter anderem dass im technologischen Zeitalter Doppelgänger vielleicht anders als in der Romantik gedacht werden müssten oder dass Andersen eine besondere Leidenschaft für die Geistermaschine des Fotoapparats entwickelte, spielen auf der Bühne kaum eine Rolle. Als singulären Querverweis bekommt die Königstochter, die der ehemalige Schatten schlussendlich, konterkariert durch eine Art Trauermarsch, heiraten wird, einen Fotoapparat in die Hand, durch den blickend, sie „viel zu viel sehen“ kann. Vielleicht könnte sie ihre Augen kurz schließen. Dann hörte sie nämlich nur noch die Musik und damit die romantische Untergangsstimmung, den expressionistischen Grusel. Am Ende steht Gonzales vom Flügel auf und intoniert auf einer Triola die letzten düsteren Akkorde. Ein Hauch der Schattenseite weht durch den Raum.