Foto: Begegnung "Zwischen den Seiten". Chip (Lisa Bless) trifft auf den Phoenix (Mirjam Schirk) © Paul Leclaire
Text:Andreas Falentin, am 22. Mai 2016
Die Kölner Oper, die seit vielen Jahren über keine eigene Tanz-Compagnie mehr verfügt, leistet sich eine Tanzuraufführung für Kinder, ermöglicht durch eine Kooperation mit der Kölner Hochschule für Musik und Tanz. „Zwischen den Seiten“ ist offensichtlich inspiriert von Kinderbuch-Bestsellern wie der Unendlichen Geschichte von Michael Ende oder der Tinten – Trilogie von Cornelia Funke.
Der Junge Chip, dessen Vater sehr mit sich selbst und seiner Arbeit beschäftigt ist und dessen Mutter gerne Partys feiert und ihren Sohn dann zum Servieren der Getränke drängt, flüchtet sich ins Lesen und träumt sich in die Welt der Bücher. Johnny Lloyd, Tänzer und Assistent bei Sidi Larbi Cherkaoui und bekannt durch eigene Hip – Hop – Kreationen, choreographiert behutsam und angenehm organisch. Er stellt den Tanz über weite Strecken in den Dienst einer etwas planen Handlungsvermittlung und lässt aus diesem Grund auch mehrere Sprechpassagen zu. Die erscheinen unnötig lang, teilweise sogar überflüssig, führen der Vorstellung aber momentweise, etwa in der Konfrontation des von Mirjam Schirk sehr innig angelegten Phoenix mit einem seelenfressenden ‚Erwachsenen‘, auch Kraft zu. Am stärksten ist die Choreographie, wenn sie sich aus dem Erzählkontext löst. Wunderbar sind die Wege durch die Seiten des Buches dann, wenn namenlose Geister diese mit nichts weiter füllen als mit eigenwilligen Bewegungen. Chips Eintritt in die Welt des Buches wird markiert durch ein sehr originelles Schattenspiel. Hier veranschaulicht Lloyd, gleichsam mit Making-Of, die Emblematik der Fantasy-Welt zwischen Ritterschlag und Drachenkampf. Und am Ende zeigt er, wieder in Form des Schattenrisses, ganz sanft, mit einem kurzen Party – Pas de Deux der Eltern, dem schlafenden Chip – und dem Publikum –, dass er es so schlecht doch nicht getroffen hat.
Christof Cremer hat, wie schon für die „Kluge“ an selber Stätte, einen sinnlichen, miterzählenden Raum gebaut. Das farblos stilisierte Wohnzimmer samt Schattenspielwand wird zur Seite gerollt und gibt bis an die Decke des Staatenhauses reichende Papierbahnen frei, deren Rascheln organisch in die Musik integriert wird. Der Percussionist und Marimbaspieler Sven Kacirek performt diese als Ein – Mann – Orchester. Er hat eine Art unregelmäßiger Minimal Music geschrieben, mit sehr kurzen, sehr unregelmäßig variierten Patterns, kombiniert mit Schlägen und Geräuschen, streckenweise grundiert von Elektro-Sounds. Kacireks Komposition interagiert in faszinierender Weise vor allem mit der Behutsamkeit und Sanftheit von Lloyds Choreographie, führt stets auf das Bühnengeschehen hin, gibt Rhythmus vor, illustriert nie. Ein Ereignis für sich.
Erfolg und Qualität bemessen sich bei einem Projekt wie diesem mit Sicherheit auch an den Reaktionen der ‚Zielgruppe‘. Die füllte bei der Premiere die ersten Reihen und sah in gespannter Stille gebannt 70 Minuten lang zu – und applaudierte laut.