Die Hoffnung auf differenzierte Personenregie, die mit dem Eingreifen von Theatermachern aus dem Schauspiel bei Opernproduktionen als gesetzt gilt, schlägt bei Tina Lanik wunderliche Kapriolen. Sie fährt zunächst auf Unterkühlungstemperatur und watscht die komplette Männerwelt ab. Der angeschmuddelte Marineleutnant Pinkerton (Tadeusz Szlenkier) lässt auf dem Sofa fläzend ein Dosenbier zischen, wenn er das Sonderangebot aus dem Geisha-Sortiment sichtet und vertreibt, wie der ebenfalls stolz Unterbauchgröße mit Shirt-Körpernähe tragende Konsul Sharpless (Sangmin Lee), letzte Zweifel daran, was diese schönen Bodys formte. Der schmierige Makler Goro, der einen Leguan als ständigen Umhänge-Begleiter krault wie Hogwarts-Hausmeister Filch seine Katze, passt zum Klischee-Arrangement: Hans Kittelmann krümmt sich in Stimme und Körpersprache. Die Titelheldin darf mehr Emphase mit doppeltem Boden zeigen, sie ist nicht nur das zwischen den Kulturen zerriebene Opfer der Verhältnisse, sondern macht sich selbst zum aktiven Teil des Systems.
Die junge usbekische Sopranistin Barno Ismatullaeva ist schon opernweltweit unterwegs mit der Partie, aber offen für die Ahnung von dunklen Schattierungen auf der Seele. Mit stabiler, schnell zur Dramatik durchstoßender Stimme samt gelegentlich spitzigen Höhepunkten und mit viel schauspielerischem Geschick lässt sie hinter der rituellen Sanftmut der Figur etliche Facetten von Berechnung und Hysterie, aber eben auch den Kampf beim Verlöschen von Hoffnung erkennen. Solche Chancen bekommt Tadeusz Szlenkier, der polnische Schmettertenor mit erprobter Puccini-Wucht, nirgends. Die Regisseurin stempelt ihn gleich doppelt ab, wenn der Macho von einst den Feigling von heute gibt und das zickige Model seiner Wahl weinerlich zum Aufräumen der Trümmer schickt. Für die Tenor-Leuchtspur findet Lanik jedoch immer die passende Abschussrampe dicht am Bühnenportal und bei plötzlicher Tableau-Versammlung der Solisten mag sogar ein wenig Ironie mitgewirkt haben. Sangmin Lee schiebt als Sharpless sein mächtiges Corpus mit ebensolcher Vokalenergie am Rand der Handlung entlang. Noch auffälliger ist „das Kind“ (Jana Beck), das von der Regie gar nicht mehr aus den Augen gelassen wird. Es bleibt so wortlos wie immer, doch mit seinem Traumtanz zur Morgengrauen-Musik erreicht es den Siedepunkt der Entzückbarkeit beim Publikum.
Dirigent Guido Johannes Rumstadt bleibt mit seinem Puccini-Sound durchgehend nah an der Regie. Die raffinierte Kolorierung der Komposition taucht beiläufig wie ein Lichtspiel auf, die überbordende Leidenschaft wird kühl exekutiert, der Weg von der emotionalen Basis zum vokalen Gipfelsturm ist immer geräumt. Mit klarer Haltung wird deutlich, was an emotionaler Kraft in der Komposition steckt, ohne dass sich der Interpret dieser Urgewalt ausliefert. Die Kontrastschärfe zwischen elegischer Poesie und aufbrausender Dramatik wirkt beim Orchester der Staatsphilharmonie entspannter als in der Szene und das fließende Tempo entzieht dem Gemüt die Gemütlichkeit.
Vergleicht man die letzten Nürnberger Puccini-Produktionen mit dieser, also Calixto Bieitos „Turandot“ und die „Tosca“ des inzwischen als Staatsintendant angetretenen Jens-Daniel Herzog mit Tina Laniks „Madama Butterfly“, ist das Neueste trotz aller Detail-Widerhaken das Konventionellste, weil es die große eigene Interpretation denn doch einfach bleiben lässt. Das wurde vom Premierenpublikum sehr gefeiert.