Foto: Martin Wißner, Steffen Gangloff und die Statisterie © Sebastian Bühler
Text:Björn Hayer, am 25. November 2017
Intendant Holger Schultze inszeniert in Heidelberg „Ich bin das Volk“ von Franz Xaver Krötz
Deutschland, deine „besorgten Bürger“, sie bevölkern aktuell die Bühne des Heidelberger Stadttheaters. Es wird gehetzt, geklagt und gar geschossen. Im Vesier stehen natürlich die „Anderen“, die gemäß dem rechtspopulistischen Narrativ kommen und unsere Identität und unseren Wohlstands bedrohen. In Holger Schultzes Inszenierung von Franz Xaver Kroetz‘ „Ich bin das Volk“ treffen wir daher auf das gesamte Spektrum nationaltümelnder Enttäuschter und aufgebrachter Zeitgenossen. Nazi-Dumpfbacken, vorurteilsbehaftete Richter (darunter ein fabulöser Olaf Weißenberg), Stammtischschwätzer, enttäuschte Jugendliche, die die Schuld ihres eigenen Scheiterns leichtfertig bei den Geflüchteten suchen, bis hin zu einer UN-Soldatin (großartig: Sophie Melbinger) finden sich innerhalb des aus losen Szenen bestehenden Tableaus wieder.
Dass sie allesamt eine instabile Konstruktion dessen eint, was sie unter „deutsch“ und „rein“ verstehen, lässt sich besonders anschaulich auch am Bühnenbild studieren. Wir schauen auf ein den gesamten Raum einnehmendes Gerüst mit verschiedenen Ebenen, Treppen und Leitern. Die Farben der Bundesflagge schwarz, rot, gelb dominieren das von Martin Fischer gestaltete Arrangement, das flexibel mal als Gerichtssaal wie auch als Friedhof oder „Versöhnungskirche“ dient. Als letztere in einer der späten Szenen von der Polizei gestürmt wird, um die Asylanten zu entfernen, klettert einer von ihnen schnell auf das Jesuskreuz. Der Gruppenführer der Staatsgewalt und der Pfarrer sind sich sogleich darin einig, dass dieser falsche Heiland an jenem heiligen Ort, welcher einst auf dem Boden eines Konzentrationslagers errichtet wurde, nichts zu suchen hat. Also weg mit ihm! Und sowieso: Weg mit der Geschichte!
Selbst wenn der Regisseur gerade angesichts der recht statischen Bühnenarchitektur mehr Akzente hätte setzen können, entwirft er auf Basis eines so wuchtigen wie provokativen Stücks eine stimmige Karikatur auf eine erhitzte Gesellschaft. Statt auf Wertmaßstäbe gründet ihr Handeln auf Hass, Neid und einem verkappten Neofaschismus. Also: In Heidelberg ist das Drama der Stunde zu sehen.