Foto: Penelope (Emilie Renard) versucht sich selbst zu trösten. © Nilz Böhme
Text:Roland H. Dippel, am 8. März 2025
Am Theater Magdeburg inszeniert Florian Honigmann Sarah Kirkland Sniders Kammeroper „Penelope“. Basierend auf Homers Odyssee legt die Komponistin den Fokus auf Penelopes Lebensrealität und lässt ihr kontinuierliches Warten zur Kunst werden.
Eine vollständige Gesamtaufführung ihrer abendfüllenden Oper „Hildegard“ über die mittelalterliche Heilige, Kloster-Feministin und Komponistin „von Bingen“ steht noch aus. Dafür erlebte „Penelope“, der elfsätzige Liedtheater-Zyklus der US-amerikanischen Komponistin Sarah Kirkland Snider (geb. 1973) und ihrer Librettistin Ellen McLaughlin bereits 2010 in The Bell House Brooklyn (NY) seine Uraufführung und hat seither eine gewisse Erfolgsgeschichte. Das Sujet: Die im altgriechischen Mythos als Idealbild ehelicher Geduld und Treue etablierte Figur der Penelope kreist in der Entscheidungsschleife, wie sie nach 20-jähriger Abwesenheit ihres Ehemanns vom Heimathafen Ithaka reagieren soll: „The Stranger with the face of a man I loved.“ Weder als Militär noch als Kämpfer des kapitalistischen Erwerbslebens tritt dieser Odysseus auf – und nicht einmal als Erinnerungsspur im trauten Heim, an das Penelope offenbar gekettet bleibt.
Voller Einsatz
Das Publikum der Premiere in der Kammer 2 des Magdeburger Schauspielhauses reagierte mit begeistertem, enthusiastischen Applaus. Florian Honigmann und die Ausstatterin Meike Kurella hatten alles unternommen, um Kirkland Sniders sehr tonale und auf Einflussmomente aus der Popmusik setzende Vertonung ins beste Halblicht zu setzen: Regie und Bühne versuchten dem Geschehen räumliche Tiefe zu geben und und damit etwas von der thematischen Tiefe des Stoffes wiederzugewinnen. Gleich sechs Zimmer mit durchsichtigen Wänden schichten sich neben- und hintereinander. In jedem finden sich wenige Möbel- und Dekorationsaccessoires. Dahinter agieren im Halbdunkel ein Streichquintett und ein Schlagwerk aus der Magdeburgischen Philharmonie.
Die Streicher ergehen sich anfangs in kurzen Motiven, bis sich Begleitfiguren und Melodien entwickeln, reihen, runden und später repetieren. Das Schlagwerk setzt gläserne Töne, Glockenklingen und leise rhythmische Akzente. Mit Können reiht Kirkland Snider also sphärische und mysteriöse, mitunter spirituell anmutende Harmoniefolgen und -schichtungen. Ihre instrumentierende Ökonomie und die sich daraus entwickelnden spektralen Weitungen machen Lust auf mehr Klang, vermeiden aber auch Monotonie. Ganze 57 Minuten entwickelt sich der Bewusstseinsstrom Penelopes zur Rückkehr ihres 20 Jahre abwesenden Mannes in Slow Motion.
Vokale Schonkost
Also keine Klagen gegen den Krieg oder gegen von den olympischen Göttern verhängte Irrfahrten und Prüfungen. Penelope durchwandelt die Räume, daraus entwickeln sich die Szenen in strophen- und refrainartigen Wellen. Emilie Renard hat für die fast nur in der Mittellage gesetzte Partie sehr schön gedunkelte, aber hier kaum zum Zug kommende Farben. Auch ihre substanzreiche Höhe wird nur selten gefordert. Mit künstlerischem Gestaltungswillen versucht Renard alles, um Blässlichkeit zu vermeiden.
Man fragt sich – wenn schon eine Penelope ansteht – , warum eine Sängerin im Zenit ihres Könnens nicht mit jener aus Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria“ oder der von Gabriel Fauré gefordert wird, sich Renard mit Kirkland Sniders vokaler Schonkost begnügen muss. Jovan Mitic-Varutti hilft nach Kräften und holt aus der Partitur, was geht. Einblicke in die mythische Figur der Penelope mit dem Substanzniveau der im Programmheft zitierten Margaret Atwood oder Christa Wolfs Mythos-Hinterfragungen bleiben aus.
In der Warteschleife
Das Beste an diesem Abend sind die fast choreografiert wirkenden Kreisschleifen Penelopes, wie die Figur mit minimalistischen Bewegungen und großen Blicken fast somnambul die Räume durchstreift. Mit Konzentration auf das Wesentliche erzeugt Renard eine wie aus Tranquilizern erzeugte Wohligkeit. Da spielt es kaum noch eine Rolle, ob der abwesende Partner nur einen Tag fernblieb – oder Jahrzehnte. Der Wohnort der einsam Wartenden zeigt keine Gebrauchsspuren. Alles fehlt, was der Penelope-Geschichte Brisanz und Dramatik gibt. Also gibt es keine Freier, keine Intrigen, wenig Angst, noch weniger Bitternis und erst recht keinen fast erwachsenen Sohn Telemachos. Nicht einmal ein Säugling oder Spuren von Verlust machen sich bemerkbar.
Kirkland Sniders Oper ist demzufolge ein ideales Beispiel für dramatische Defragmentierung und Substanzökonomie. Ihre Musik malt mehr Atmosphäre als existenzielle Dringlichkeit. Eine gewisse Wärme und Opulenz kann man dem, was aus dem Penelope-Plot noch übrigbleibt, nicht absprechen. Der Abend ist aber weitgehend der Regieclip zu einem Song mit Überlänge.