Es geht um Modesta, geboren am 1. Januar 1900. Sie lebt in ihrer Familie, dann in einem Kloster, schließlich bei einer Adelsfamilie. Als sie von Ihrem Vater vergewaltigt wird, zündet sie das Haus der Familie an. Die Äbtissin, die Modesta in ihrem Testament bedacht hat, stirbt durch einen Unfall, den Modesta mitverschuldet hat. Die Fürstin, deren behinderten Sohn Modesta heiratet, stirbt, weil Modesta ihre Tabletten versteckt. Jetzt ist sie frei. Diese skrupellosen Taten lesen wir auf der Bühne als eine Art Befreiung, eine Sehnsucht zur Selbstbestimmung. Jetzt ist Modesta wirklich frei. Sie liebt einen Sozialisten und leidet unter dem Faschismus. Die politische Geschichte läuft fühlbar parallel und drängt sich immer wieder auch in den Vordergrund. Modesta hat geliebt, Männer, Frauen, sich selbst. Der Körper muss befriedigt werden, sagt sie, aber die Seele ist frei. Sie sieht ihre Kinder aufwachsen und kommt schließlich, mit etwa 50 Jahren, zur Ruhe. Und lächelt.
Nicht sozial oder politisch, sondern individuell
Anaïs Durand-Mauptit hat den Roman zusammen mit der Dramaturgin Kerstin Grübmeyer bearbeitet und inszeniert. Die große Rolle der Modesta teilen sie auf drei Schauspielerinnen – drei Alter. Marlina Adeodata Mitterhofer, Luise Berndt und Bettina Scheuritzel verkörpern sie hintereinander und immer wieder zusammen. So entsteht Distanz zum Geschehen, keine Identifikation. Wir schauen einer künstlichen Welt zu, in die das Leben immer wieder schmerzhaft einbricht. Das Bühnenbild von Marie Labsch, eine Art Becken mit niedrigen, unregelmäßigen Rändern in der Mitte der Drehbühne, das bunte, fast zauberische Licht von Eduard Joebges und die prächtigen, oft historisch anmutenden Schnitte von Mascha Schubert verschieben das Gewicht der Inszenierung in Richtung magischer Realismus. Das, wieder sehr genaue, Singen von italienischen Schlagern und Volksliedern („Volare“ u.a.), toll einstudiert von Malcolm Kemp, die Chorstücke, die Fragmente von choreografischem Theater am Anfang, fügen einen nostalgischen Rahmen dazu. Das alles feiert Modesta als Mensch, der nicht sozial oder gar politisch denkt, sondern nur auf die individuelle Freiheit bedacht ist. Was sie auch allen anderen Menschen wünscht.
Starke Bilder, wichtige Sprache
Durand-Mauptit inszeniert sehr reduziert und konzentriert: Wenige Requisiten, starke Bilder, wichtige Sprache. Man kann nichts verpassen, nichts wird zweimal gesagt, doch wird alles klar ausgesprochen, meist ohne Subtext. Die Schauspieler stehen nackt – metaphorisch – im Zentrum. Und das Ensemble ist sehr gut. Geschmeidig und sehr zusammen die drei Hauptdarstellerinnen, Torsten Borm und Benedikt Voellmy sind ein bisschen schmutzige männliche Gegenbilder, Nola Friedrich und Furkan Yaprak fluten das Auditorium mit ihrer Jugend, Janina Sachau mit Empathie und Energie, Hermia Gerdes bleibt ein wenig zurück.
Man sieht drei Stunden lang atemlos zu. Man wünscht Modesta die Ruhe, die sie erfährt, trotz allem. Und geht mit vollem Herzen aus dem Theater.