Gewiss, Schauspiel- und erst recht die Opernproduktionen haben lange Planungsvorläufe, aber nachdenklich macht es schon, dass beide Leuchtturm-Festspiele sich zur Eröffnung mit vergeblichen Aufräumarbeiten beschäftigen. In Salzburg hat der Marthaler-Bühnenbildner Duri Bischoff nun eine Art Museums-Depot einer Glyptothek auf die Bühne gestellt, skulpturale Objekte, weiß wie aus Gips: Ein Pferdekopf, Körperteile des Huftiers, ein Obelisk, ein gigantisches Rad, und in der obersten Etage kann man Nachbildungen der expressiven theatralischen Masken erkennen, die am Eingang der Felsenreitschule platziert sind und sich im nie veränderten Logo der Salzburger Festspiele wiederfinden (das vor einigen Jahren bezüglich seiner politischen Unbedenklichkeit untersucht wurde, es wurde für „sauber“ befunden).
Zweigs erfolgreichstes Buch
Ein subtiler Hinweis auf eigene Vergangenheitsbewältigung, die tatsächlich auch die Idee selbst betrifft, Stefan Zweigs erfolgreichstes Buch auf die Bühne zu bringen, die Essaysammlung „Sternstunden der Menschheit“. Denn Zweig verbrachte seine letzten Jahre vor der ruhelosen Flucht in Salzburg, am Kapuzinerberg unweit des Landestheaters, bevor er nach der Durchsuchung seiner dortigen Wohnung die Koffer packte, nach London, dann in die USA und zuletzt nach Brasilien ging, wo er sich 1942 das Leben nahm.
Regisseur Thom Luz erinnert gleich zu Beginn an die Durchsuchung, die Zweig in einem Brief schilderte, indem er Sprecher Johannes Nussbaum aus dem Off sprechen lässt. Zuvor war eine Musikbanda aus dem Foyer eingezogen, zunächst mit alpenländischen Klängen, die sich sachte aber bestimmt im Laufe des Abends immer mehr Richtung Südamerika verändern. Luz versucht gar nicht erst, Zweigs Texte aus den Miniaturen eins zu eins auf die Bühne zu bringen, dazu sind sie zu theaterfern.
Mit Briefen aus dem Exil
Stattdessen lässt er seine sein sechsköpfiges Ensemble auf die Bühne stolpern und sich neugierig umschauen im Depot und sich den Artefakten nähern. Die Objekte scheinen selbst zu sprechen, sich an Zweigs Miniaturen zu erinnern, an die Geschichte von Napoleons Niederlage in Waterloo. An die Verlegung des ersten Tiefseekabels. Und immer wieder an Ciceros Tod.
Die Stimmen überlagern sich, immer wieder tönt es auch aus den Lautsprechern, Textfetzen aus den „Sternstunden“, verschränkt mit Briefen Zweigs, dann aus dem brasilianischen Exil. Die Textfetzen sind teils schwer verständlich, öfters liest man die englischen Obertitel mit, um zu verstehen, was gerade gesprochen wird. Begleitet wird das Ensemble weiterhin von dem Quartett aus vier Bläsern und einem Gitarristen, das später auch mal Händels „Hallelujah“ aus dem Messias oder die Bassarie „Das Volk, das da wandelt im Dunkel“ anstimmt.
Zwischen weltgeschichtlichen Momenten
Zweigs „Sternstunden“ handeln von kurzen, weltverändernden Momenten, Thom Luz kürzt die Zitate aus den Essays radikal ein, sodass man wenig Zeit hat, zu begreifen, in welchem weltgeschichtlichen Moment man sich gerade befindet. Immer weiter wuseln die Darstellerinnen und Darsteller durchs Depot, bauen eine Pyramide, die natürlich umfällt oder werfen einander zerknüllte Blätter zu, die sich als Zweigs Tagebuchseiten und Briefe entpuppen, aus denen Vincent Glander, Evelyne Gugolz, Isabell Antonia Höckel, Steffen Höld, Nicola Mastroberardino und Barbara Melzl lesen.
Das sind die stärksten Momente des Abends, wenn das Biografische die Oberhand gewinnt anhand von Zweigs Aufzeichnungen. Die Passagen aus der „Weltminute von Waterloo“ oder das „Genie einer Nacht“ bleiben ein eher unwirkliches Rauschen im Hintergrund. Mit der Zeit wirkt diese Collagen-Technik ermüdend, weil sie schnell auserzählt ist. Kurz vor Schluss kriegt der Abend dann doch noch die Kurve, wenn Isabell Antonia Höckel einen Styroporbrocken besteigt und auf Portugiesisch Auszüge aus Interviews verliest, in denen sich brasilianische Wegbegleiter an ihre Begegnungen mit Zweig erinnern.
Starker Abschluss
In der Schlussszene schließlich verschränkt Luz Zweigs Sterbezimmer mit den letzten Momenten Ciceros, der sich seinen Mördern stellt. Abwechselnd legen sich die Ensemblemitglieder paarweise auf eine Bahre – wie Zweig mit seiner Frau Lotte, die ihn in den Tod begleitete, – während jeweils ein anderer den Sterbenden vorliest, wie man einem Kind eine Gutenacht-Geschichte vorliest. Ein starkes Ende eines trotz seiner 90 Minuten Dauer sich hinziehenden Abends.